1926, zu Zeiten von Adolf Loos, als Innenausbau noch mit wenigen, hochwertigen Materialen ausgeführt wurde, entstand in Dömitz an der Elbe ein Warenhaus von Philipp Schaefer. Der damalige Karstadt Chefplaner baute in den 20er und 30er Jahren zahlreiche Warenhäuser für das Unternehmen.
Vergleicht man den Material Purismus mit der Reizüberflutung heutiger Kaufhäuser, sehnt man sich zurück. Adolf Loos, als Wegbereiter dieser klassisch, schlichten Innenraumgestaltung, schrieb sehr polemisch über die Verwendung des Ornamentes. Das wird häufig mißverstanden, denn er äußerte sich auch sehr kritisch über das kubisch, glatte Neue Bauen der Weißen Moderne und die damaligen Leitfiguren des Bauhauses. Seine Haltung entstand vielmehr aus einer Ablehnung gegenüber den überladenen Motiven des Historismus und des Jugendstils. Dahinter stand der Wunsch, eine ingenieursmäßig und industriell gut herzustellende edle Ästhetik zu schaffen. Heute würde man sagen, dass sich das Ornament des Adolf Loos eher über genarbte Leder, stark marmorierte Natursteine und auffällig gemaserte Edelhölzer aus der Eigenschaft des Materials entwickelt. Sicher würde ihn diese Formulierung provozieren. Auf jeden Fall unerreicht ist seine dreidimensionale Fügung dieser hochwertigen Ausbaumaterialien.
Mit Blick auf das Jugenstilkaufhaus in Görlitz (1912/1913) und die Passage in den Haag (Eröffnung 1885), dem ältesten Einkaufszentrum der Niederlande, versteht man den ideologischen Konflikt und die polemischen Verrisse, die das Neue Bauen der 20er Jahre mit der Ornamentik des Historismus und des Jugendstils austrug.
Wo Stil als Dekoration der Fläche verstanden wird, darf man, streng genommen, nicht mehr von Häuserbau sprechen. Was eine derartige Architektur erstellt sind bestenfalls Wohnungen mit Fassaden davor, aber keine dreidimensionalen Baukörper, keine Häuser.
Leopold Ziegler (1881-1958) Florentinische Introduktion zu einer Philosophie der Architektur und der bildenden Künste (1911/12)
Wie vielschichtig sich die Architektur des Neuen Bauens im Europa der 20er Jahre zeigte, sieht man am Beispiel des Warenhauses De Bijenkorf (Den Haag 1926 ).
Im Stil der Amsterdamer Schule, einer niederländischen Strömung des Expressionismus, von Piet Kramer erbaut. Hier wirkt die Auseinandersetzung mit dem Ornamentalen über kristallin zueinander versetzte Glasfacetten.
Was die historistischen Strömungen der Gründerzeit und der innovative Jugendstil sehr überzeugend geleistet haben, ist die Integration der damals neu entstehenden, städtischen Ladenflächen. Wie in der Fassade des Görlitzer Lebensmittelmarktes oder in der Altstadt von Den Haag nehmen die Formate der Schaufenster, die Lage der Stützen und Profile Rücksicht auf die Gestaltung der Obergeschosse. Im Schaufenster der Quedlinburger Ladenfassade ist selbst der Schiebelüfter gegen das Kondenswasser der Einfachverglasung in das künstlerische Detail integriert. Ganz anders die sogenannten Häuser ohne Unterleib unserer Zeit mit großflächigen Glaselementen. Sie ignorieren in ihrer Fassadengestaltung vorhandene Proportionen und durchbrechen das historische Fassadenbild. Hier in Hameln sogar über zwei Geschosse. Im Beispiel aus der Oesterleystraße (Hannover Südstadt) wird der Laden in einen Mietswohnungsbau von 1928 integriert. Die Haustür zu den Wohnungen und der Ladeneingang stehen in Ihrer plastischen Ausbildung wie selbstverständlich gewachsen nebeneinander. An einer der belebtesten Kreuzungen am Prenzlauer Berg, wo die Kastanienallee auf die U-Bahn Station Eberswalder Straße trifft, sind freie Sitzplätze kostbar.
Deshalb sitzt man hier im Schaufenster. In der Bäckerei Zeit für Brot können die Kunden beim backen zuschauen. Eigentlich ist jedes Fenster ein Schaufenster, wenn es eine interessante Blickrichtung gibt. Aus dem alten Kirchenamt in Hameln über die Dächer der Stadt.
Die Flügelbreiten von historischen Fenster entwickelte man aus der Ellenlänge des Unterarms. Soweit konnte man bei den nach außen öffnenden Fenstern maximal nach greifen. Menschlicher Maßstab. Heute lassen sich bei Isolierverglasungen Längen bis 18m realisieren. Wir können alles, machen alles und haben jegliches Maß verloren.
Solange der Mensch zwei Beine zum Gehen und zwei Arme zum Greifen gebraucht, ist der Maßstab seines Körpers für das Baugeschehen eine verpflichtende Größenordnung.
Rob Krier – Stadtraum in Theorie und Praxis (1975)
Ein Wortspiel: Fenster schauen. Aber diesmal blickt nicht der Kunde hinein auf die Waren hinter Glas, sondern die Fenster blicken den Betrachter an. Die architektonische Entwurfslehre, egal wo sie gerade doziert, publiziert oder vermittelt wird, erzählt Mantra artig über Fenster als Augen des Hauses. Gemeint ist das prägende und wichtigste Element im Gesicht der Fassade. Das häufige Wiederholen zeigt in unserer Alltagsarchitektur allerdings keine Wirkung. Aus fein proportionierten Gesichtszügen blickt uns das Mural in der Schmiedestraße Hannover an, während das Nachbarhaus hässlich glotzt.
So einige Verhaltensweisen sind meinem Sohn ziemlich peinlich. Besonders genervt reagiert er aber auf meine Angewohnheit, Schubladen und Türen von historischen Möbeln zu öffnen. In Venedig war es mal wieder soweit. Sehr unscheinbar hinter den Arkaden am nördlichen Rand der Piazza San Marco findet man die Schaufenster zum ehemaligen Olivetti Showroom (Carlos Scarpa 1958). Tausende Touristen laufen jeden Tag an den relativ unscheinbaren Glasflächen vorbei. Kaum jemand interessiert sich für die Räume dahinter. So war es auch an diesem Tag. Nur zwei Studenten, die Details skizzierten – daran erkennt man sie , bewegten sich mit uns durch den Raum. Scarpa gilt als Meister der Fuge. Unter Architekten ist dieser Titel etwas überstrapaziert. Die Außenwelt, so wie die Touristen auf dem Markusplatz, kann damit allerdings wenig anfangen. Dabei ist die Fügung von Materialien und Ebenen eine uralte Frage, die sich heute jedem Einfamilienhausbauer im Wohnzimmer stellt. Was passiert, wenn im dreidimensionalem Raum aus verschieden Richtungen Türbekleidung, Bodenbelag, Wand und Fußleiste aufeinandertreffen.
Neubaustandard heute: Der Handwerker fummelt mit seiner Kappsäge irgendetwas zusammen. Niemand hat sich vorher Gedanken zum Detail gemacht und deshalb sieht es dann genauso aus zwischen folienlaminierter Zimmertürzarge, Bodendekor in Vinyl und profilierter, silikonverklebter Fußleiste. Scarpa beginnt mit der Fuge genau an diesen Knotenpunkten. Für das designorientierte Unternehmen Olivetti verwandelte er ein Volumen von 21 m Tiefe, 5 Meter Breite und 4 Meter Höhe in eine lichtdurchflutete Raumskulptur. Das Geheimnis dieses Raumgefühls ist, dass man die Architektur nicht wie üblich als Tragwerk, Treppe, Öffnung und Wand wahrnimmt, sondern als Körper mit Linien und Flächen, die dynamisch in alle möglichen Richtungen streben. Die schwebend abgehängten Olivetti Maschinen wirken durch die edle Materialwahl der Oberflächen aufbewahrt wie in einer Schmuckschatulle. Perfekte Raum- und Produktinszenierung. Als ich dann aber gedankenversunken und scheinbar unbeobachtet den Riegel eines Einbauschrankes langsam zurückschiebe um den Mechanismus zu verstehen…