Wenn man sich beruflich sehr dicht an einem Thema bewegt, wird es mit der neutralen Betrachtung nicht einfach. Deshalb versuche ich es mal ohne den romantisierenden Touristenblick, der sich nur für Fassadenbilder und Fachwerkkulisse interessiert. Welche Erkenntnisse bringt uns der traditionelle Fachwerkbau in der ökologischen Krise. Dazu muss man diese Bauweise der heutigen Bauindustrie gegenüberstellen.
Über Jahrhunderte, lange bevor die heutigen Einfamilienhäuser mit Sondermüll gedämmt wurden, war der Fachwerkbau eine bewährte Massenbauweise in Deutschlands Städten und Dörfern. Natürlich mit regionalen Besonderheiten im statischen System, der Raumaufteilung, Farbigkeit und den Verzierungen. Aber als Typus des Holzskelettbaus mit klassischen Holzverbindungen und Ausfachungen in weich gebrannten Ziegeln oder Lehmstaken grundsätzlich vergleichbar. Interessant ist, dass zu Zeiten, in denen Begriffe wie Nachhaltigkeit und ökologisches Bauen mit biologischen Baustoffen unbekannt waren, diese Materialien wie selbstverständlich eingesetzt wurden, während im Jahr der UN Klimakonferenz 2022 Beton, Stahl, hartgebrannte Industrieziegel, energieintensive, großflächige Verglasungen und erdölbasierte Dämmungen die Baustoffindustrie beherrschen. Das ist deutsche Nachkriegstradition und immer noch Realität. Auch meine Eltern, die 1957 das erste Mal bauten, waren überzeugte Massivhausanhänger und haben sich regelmäßig misstrauisch zur Haltbarkeit von Holzhäusern geäußert. Das zu meiner eigenen architektonischen Sozialisation. Wie vielen anderen Kindern das auch erzählt wurde, sieht man heute in den Neubaugebieten. Nur zur Erinnerung, die ältesten mittelalterlichen Fachwerkhäuser in Deutschland sind fast 800 Jahre alt mit bauphysikalischer Feuchtesteuerung durch Lehmbaustoffe. Noch so ein schlauer Terminus, den im Mittelalter keiner kannte. Einfach regional gebaut nach Intuition. Heute wissen wir alles und machen wenig…
Ganz langsam und im Windschatten der innovativen skandinavischen Holzbaunationen wie zum Beispiel Norwegen, wo bereits 2019 ein 85 Meter hohes Holzhaus fertiggestellt wurde, nähert sich Deutschland wieder seiner legendären Holzbautradition. Aktuell entsteht in Hamburg mit 65 Metern das höchste deutsche Holzhaus Roots mit geplanter Fertigstellung in 2024 (Architekten Störmer – Murphy and Partners). Natürlich luxusorientierte Investorenarchitektur in der Hafencity. Aber immerhin ein Anfang mit Vorbildwirkung.
Auch Holz- und Lehmbauplaner mit Vorbildwirkung gibt es. Eike Roswag Klinge ist ein Berliner Architekt und Hochschulprofessor, der sich nach eigener Aussage in der Tradition der Fachwerkbauweise bewegt, seit Jahrzehnten zur Holz- und Lehmbauweisen forscht und mit seinem Büro ZRS Architekten Ingenieure zahlreiche realisierte Projekte mit den Grundmaterialien Lehm und Holz vorweisen kann. Wichtig ist dabei, dass das Resultat auch aussieht wie Architektur und nicht aus dem Ökofachmarkt kommt. Wir brauchen Breitenwirkung und Akzeptanz im Gebäudedesign.
Vor dem Hintergrund dieser Entwicklung die harte Betonrealität in Hannover. Das Bild zum Abriss des Bürogebäudes im Stadtteil Linden ist aktuell aus diesem Jahr. Standzeit sicher nicht länger als 50 Jahre. Es geht nur noch um Baustoffentsorgung und sortenreine Trennung. Ein paar Monate später, neben der Raschplatzhochstraße, einem Symbol der autogerechten Stadt Hannover, der Betonabriss am Parkhaus Lister Tor (1975). Mit dem ehemaligen Postgiroamt in Hannover Mitte (1972 /1973) verschwindet ein weiterer Komplex der 70er Jahre Architektur. Es ist, als wenn es nie passiert wäre. Einfach radieren und eine ganze Epoche nach nur einem halben Jahrhundert verschwinden lassen. Der Bauschutt scheint aus dem Gebäude herauszufließen. Ein seltsames Bild im Gewirr aus abgerissenem Bewehrungsstahl.
Das zeitgleich errichtete Ihmezentrum in Hannover (Bauzeit 1971-1975), entstand als Stadt in der Stadt mit dem zur Bauzeit größten Ortbetonfundament Europas. Die Wohnmaschine wird wahrscheinlich deshalb nie abgerissen, weil die Kosten nicht wirtschaftlich darstellbar sind. Der damalige Stadtbaurat Hannovers Hanns Adrian wohnte selbst im Komplex. Von ihm stammt der Satz: Der beste Ort zum Wohnen in Hannover, wenn man das Ihme-Zentrum nicht sehen will, ist das Ihme-Zentrum. Heute dient der neu gestaltete Glockseepark direkt vor dem Gebäude als sogenannter Retentionsraum der Aufnahme von Hochwasser. Die Aufnahme der extremen Hochwassersituation im Dezember 2023 zeigt, dass die riesige Badewanne gut funktioniert.
Und noch ein weiterer Fotobeweis aus der unökologisch hässlichen Baupraxis in der Region Hannover. Ein ganz normales Ärzte- und Geschäftshaus in Langenhagen. Das Bauvorhaben nennt sich wie so oft energetische Flachdachsanierung. Fotografiert habe ich es bei einem Arztbesuch. Zur Entsorgung der Bitumen Alteindeckung wird sich schon eine Deponie finden. Entscheidend ist hier aber das neue Material: extrudiertes Polystyrol. Ein Baustoff, der in Deutschland besser unter dem Markennamen Styropor bekannt ist. Produziert im chemischen Prozess der Polymerisation aus Erdöl. Neugierig geworden habe ich durch den Bauzaun fotografiert. Der Hersteller des fossilen Dämmstoffs Sundolitt (Vertretungen europaweit in Skandinavien, Großbritannien und Deutschland) verweist auf seiner Homepage auf den Schutz von Mensch und Umwelt. Diese Marketingstrategie heißt übrigens genauso wie der Waschsalon, den ich in Hameln am nächsten Tag fotografiert habe. Hier laufen die großen Maschinen wahrscheinlich tatsächlich ökologisch effizient und der Name Greenwashing ist gerechtfertigt. Alles wird gut.
Büro- und Wohngebäude, Schulen und öffentliche Gebäude werden in Hannover übrigens immer noch genauso gebaut. Gerne nett verklinkert. Hauptsache ein Wettbewerb ist vorgeschaltet. Ganz aktuell der Rohbau der Schulerweiterung Gymnasium Lutherschule am Engelbosteler Damm (Hannover Nord). Die CO2 Bilanz von Baustoffen zeigt sehr gut die unten verlinkte Grafik. Problematisch ist einfach, wenn Gebäude unter einem sehr hohen Primärenergiebedarf für eine relativ kurze Lebensdauer errichtet werden. Photovoltaikelemente und Wärmepumpen beeinflussen diese Bilanz, ändern aber nichts am negativen Lebenszyklus. Ein Großteil des heutigen Fachwerkbestandes steht dagegen schon 500 Jahre oder länger. Wurden Fachwerkhäuser abgebrochen, konnten die Baustoffe wiederverwendet werden – cradle to cradle Kreislaufwirtschaft. Auch dieser Begriff war damals unbekannt. Das 21. Jahrhundert hat viel kürzere Erneuerungszyklen als die Jahrhunderte davor. Über Architektur braucht man dabei nicht zu diskutieren. Schuld ist die Bauindustrie, die sich aus dem Baukasten des fossilen Zeitalters bedient. Eine besondere Form der Schuld , wie Juristen vor Gericht formulieren würden, liegt darin, dass es die Industrie versäumt hat, den Holzbau zu ökonomisieren. So kann sie heute immer auf die etwa 25% höheren Herstellungskosten verweisen. Wie praktisch. In anderen Ländern wie Frankreich, Norwegen und Dänemark spielt im energetischen Nachweis der Verbrauch über den gesamten Lebenszyklus eine Rolle. Deutschland dagegen hat das Gebäudeenergiegesetz. Kein Kommentar dazu. Neben dem Bauschild der Lutherschule schreibt das Rohbauunternehmen: Wir bauen es! Was? Unsere Zukunft? Schulen kann man übrigens in Holz bauen, auch nach deutschen Brandschutzanforderungen. Als Vogel der Weisheit sitzt die Eule, die in der griechischen Antike für Wissenschaft und Besonnenheit stand, am Treppenaustritt des historischen Haupthauses der Lutherschule. Zum Betonneubau nebenan wurde sie nicht befragt.
Mein Gymnasium in Rinteln, Betontypenbau von 1975 in Fertigelementbauweise habe ich bereits an anderer Stelle erwähnt. Direkt gegenüber steht seit 2021 eine Integrierte Gesamtschule in Holzbauweise. Prämiert mit dem Niedersächsischen Holzbaupreis. Meine Mutter, die Massivhausanhängerin, ist übrigens sehr stolz auf diesen Schulneubau in ihrer Stadt. Es besteht also noch Hoffnung.
Aktuell bauen die Architekten Herzog de Meuron in Berlin zwischen neuer Nationalgalerie (Architekt Ludwig Mies van der Rohe, Bauzeit 1965-1968) und der Philharmonie (Architekt Hans Scharoun Bauzeit 1960-1963) das Museum der Moderne. Eine interessante Aussage zur notwendigen Betonverwendung in Museen aufgrund von erhöhten Brandschutzanforderungen macht in diesem Zusammenhang Jaques Herzog in der Kultursendung Aspekte im November 2022 : Museen sind materiell gesehen sehr unökologisch. Sie sind umgekehrt aber auch nachhaltig, weil sie Werte von früher für die Zukunft erhalten. Ich fasse diese etwas arrogant intellektuelle Rechtfertigung des Büros für ikonische Beton-, Kultur- und Sportbauten mal in einer Frage zusammen. Nachhaltig bauen bedeutet demnach die Konservierung von Kulturerbe in Gebäuden mit klimaschädlichen Baustoffen? Als Denkmalpfleger bekommt man da Gänsehaut. Eine konzeptionelle Frage dazu ist zudem noch, ob diese millionenschweren, prestigeträchtigen Bauten Kultur und Bildung in alle Bereiche der Gesellschaft bringen.
Eindrucksvoll die Fachwerk Altstadt im Schwarzweißbild meiner Heimatstadt Hannover aus den 30er Jahren. Mit etwa 1400 Fachwerkhäusern stellte Hannover benachbarte Fachwerkstädte wie Celle oder Hameln bei weitem in den Schatten. Was im Zweiten Weltkrieg nicht zerstört wurde, erledigten die Flächenabrisse der Nachkriegszeit zur autogerechten Stadt. Heute ist die Altstadt in Hannover auf sehr kleiner Fläche nur noch Fachwerkkulisse mit nicht mehr authentischen Straßenzügen. Die Hinterhof Aufnahme aus Celle gibt einen Eindruck davon, wie diese Bereiche in Hannover einmal aussahen. Originale Filmausschnitte dieser Fachwerkaltstadt gibt es übrigens auch noch. 1932, noch vor der Machtergreifung, ließ die Stadt Hannover einen damals sehr modernen Imagefilm zum Tourismusmarketing drehen, der als Vorfilm in den Kinos und auf Kreuzfahrtschiffen lief. Gesichter einer Stadt als Reproduktion auf DVD durch die Gesellschaft für Filmstudien (GFS) – www.filmundgeschichte.de
Eine schleichende Zerstörung von Fachwerksubstanz begann in den Fachwerkstädten mit Aufkommen neuer Baustoffe in den 60er Jahren. Die von der Industrie produzierten, kunststoffgebundenen Farbsysteme wurden als feuchtigkeitssperrende Beschichtung auch für Fachwerkhäuser empfohlen. Das ist irgendwie so, als ob man mit einem Regenmantel, der nicht atmungsaktiv ist, endlose Kilometer durch Wind, Regen und Sonne läuft. Als Ergebnis von über 50 Jahren Fehlsanierung mit folienbildenden Farben gibt es eine schleichende, aber dramatische Holzzerstörung. Feuchtigkeit kann nicht mehr abwandern und staut sich am Holzkörper des Fachwerkhauses. Eine ideale Grundlage für Pilze und Holzschädlinge. Wie im Sport ist heutiger Stand der Bautechnik eine atmungsaktive Funktionskleidung. Die bauphysikalischen Durchgangswerte der diffusionsoffenen Farben ohne kunststoffbasierte Bestandteile sind dazu genau definiert. Als traditioneller, natürlicher und bewährter Anstrich ist Leinöl aber immer noch die erste Wahl.
Erstaunlich, einen besseren CO2 Fußabdruck als 500 Jahre alte Fachwerkhäuser gibt es in unserer gebauten Umwelt kaum. Und trotzdem stehen unendlich viele dieser Häuser in den Altstädten und Dörfern leer, bei sich stetig verschlechternder Bausubstanz. Es scheint ein Vermittlungsproblem über ihre Potentiale zu geben. Zukünftige Bauherren haben das Wissen darüber verloren, was ein Fachwerkhaus im Kern ausmacht. Sie bauen sich stattdessen vor dem Hintergrund der aktuellen Krise anachronistische Einfamilienhäuser mit ineffizienter Nutzung von Energie und Baugrund. Dazu eine grobe rechnerische Tendenz. Die Beheizung eines Einfamilienhauses setzt etwa 0,5 bis 1,5t CO2 pro Jahr frei. Die Herstellung eines konventionellen Massivbaus etwa 40t CO2 . Das entspricht 30 bis 80 Jahren Heizen. Eine fachlich sehr gute und kontroverse Diskussion zum Thema Einfamilienhaus habe ich unten verlinkt.
Vermittlung von Baukultur bedeutet Pädagogik schon bei Kindern und Jugendlichen. Als Konzept ganz einfach. Das Fachwerkerlebnishaus in Schmalkalden ist auch für Kinder begehbar und zeigt keine abgeschlossene Sanierung, sondern mit freigelegten Bauteilschichten aus verschiedenen Epochen die lebendige Geschichte und das das Innenleben eines Fachwerkgebäudes. Auch in einem Freiwilligen Sozialen Jahr in der Denkmalpflege als Teilnehmer einer Jugendbauhütte kann man eine Fachwerkbaustelle selbst erleben. Natürlich ist der Investitionsaufwand für Fachwerksanierungen oft sehr hoch. Nicht selten verschwinden Baukosten wie für einen Einfamilienhausneubau in der Sanierung. Aber wo liegt das Problem. Die bauliche Qualität der Substanz und oft auch der Wert der Immobilie durch eine besondere zentrale Grundstückslage ist danach meist höher als im Neubau. Das Straßenschild in Neuruppin am Fachwerkrähm ist doppeldeutig. Die Siechenstraße erhielt ihren historischen Namen durch das Siechenhospital mit Kapelle. Während der Seuchen des Spätmittelalter wurden die Erkrankten in sogenannten Siechenhäusern isoliert. Auch das Fachwerkhaus siecht heute dahin ohne Behandlung. Moralische und bautechnische Unterstützung zur Fachwerksanierung bekommen Bauherren über die Interessensgemeinschaft Bauernhaus (IGB), die zu allen technischen und finanziellen Aspekten der Sanierung berät.
Schmalkalden Fachwerkerlebnishaus
Schluss mit dem Traum vom Eigenheim? | 13 Fragen | unbubble – YouTube
Hier sind etwa 6000 Mitglieder über ganz Deutschland in Regionalgruppen organisiert. Publikation des Vereins ist der Holznagel. Man könnte die IGB mit ihrer wertvollen Arbeit im positiven Sinne auch als psychologische Selbsthilfegruppe oder Lobbyorganisation bezeichnen. Da in der Fachwerksanierung DIN Normen aus dem Neubausektor nicht greifen, helfen hier die technischen WTA Merkblätter der Baufachinformation Frauenhofer Gesellschaft zu vielen Einzelthemen der Sanierung. Das ist die Therapie der Fachwerkpatienten.
In der modernen Holzbausystematik entspricht der Holzständerbau bzw. Holzrahmenbau am ehesten dem traditionellen Fachwerkbau. Dieser Begriffswechsel und dass die Verbindungsmittel nicht mehr traditionell verzapft werden, ist verziehen, wenn das Ergebnis so aussieht wie im Stadtteilzentrum Kronsberg. Die Stadtteilzentren übernehmen in Hannover eine wichtige soziale Funktion. Sie bieten ein vielfältiges Programm für Bildung, Sport, Gesundheit, Kunst, Kultur, Musik, Film und Begegnung. Umso wichtiger ist es, dass diese Orte auch über ihre Räume und Gebäude Architektur vermitteln. Sehr überzeugend in moderner Holzständerbauweise passiert das am Kronsberg. Die Holzkonstruktion schafft es wie selbstverständlich, im multifunktionalen Haus die unterschiedlichsten Räume zu bilden. Das Material liefert die Innenraumatmosphäre. Vielleicht doch die bessere Alternative zu einer Betonhülle mit Ausbau im Trockenbau. Soviel zum Bildungsauftrag von Architektur Herr Jaques Herzog. Ich gehe nicht davon aus, dass Sie diese Zeilen jemals lesen…
Zu Beginn des 20. Jahrhunderts zeigte sich Fachwerk noch ein letztes Mal in der traditionellen Rückbesinnung der Reformarchitektur und kam dann langsam aus der Mode. Das späte Beispiel aus Fritzlar von 1905 besitzt mit den großformatigen Fenstern deshalb untypische Stilelemente. Viele Fachwerksanierungen machen aus den Holzskelettkonstruktionen Hybride mit modernen Industriebaustoffen. Hinter dem Begriff der sogenannten Kernsanierung verbirgt sich dann eine Ausmauerung mit industriellen Hochlochziegeln, Stahlträgern und Beton. Der Blick ins Innere einer solchen Baustelle stammt ebenfalls aus Fritzlar. Und dann noch ein Fachwerkabziehbild aus Rinteln. Der Bauherr scheint hier sehr romantisierend veranlagt zu sein. Wie sonst käme man auf die Idee, dünne Eichenbretter auf eine Wärmedämmverbundfassade aufzuschrauben. Glückwunsch!