Reiseerlebnisse sind inzwischen seriell und instagrammable. Der Schriftsteller, Schauspieler und Musiker Heinz Strunk hat dazu mal gesagt: Überall gewesen und nichts gesehen.
Dargun liegt in einem Landstrich von Mecklenburg, an dem die Müritz Besucher vorbeifahren und in den sich Ostsee Touristen selten verirren. Nicht gerade städtisch komprimiert, liegen die interessanten Ziele etwas verstreut. Wertvolle Empfehlungen zu Ausflügen in die nähere Umgebung bekamen wir von unserer Gastgeberin Alexandra, die das Gutshaus Altbauhof aus dem 19. Jahrhundert als Ferienwohnsitz und eigene künstlerische Wirkungsstätte betreibt. Der toll angelegte Garten duftet nach alten Rosensorten (wie bei Douglas – Originalzitat Alexandra) und nach einigen Tagen hatten wir uns als hyperaktive Städter dem Rhythmus der Landschaft und der Geschwindigkeit der Bienen und Libellen angepasst.
Mitten in Dargun liegt ein Zisterzienserkloster, das nach der Reformation im 16. Jahrhundert durch die Herzöge von Mecklenburg-Güstrow zum Schloss ausgebaut wurde. Die historisch sehr bedeutende Anlage wurde 1945 durch Brand zerstört. Ab 1991 wurden die noch erhaltenen Außenwände und gotischen Pfeilerkonstruktionen saniert und statisch gesichert. Wegen der fehlenden Dächer und Gewölbe mussten 700 Meter der freiestehenden Mauern mit Zug- und Druckstäben verspannt und gesichert werden. Der eindrucksvolle Raum ist nun begehbar und vom Turm einsehbar. Auf dem Klosterhof finden Bühnen- und Musikveranstaltungen mit bis zu 800 Besuchern statt. Die ehemalige Klosterkirche erhielt eine neues Dach und ein 10 x 30 Meter großes, vorgespanntes Akustiksegel in der Geometrie gotischer Gewölbe. Ideal für klassische Konzerte wie z. B. das Festival Mecklenburg Vorpommern. Sehr herzlich und authentisch aufgenommen wurden wir im Klosterladen. Man findet regionale Produkte und kann Selbstgebranntes verkosten. Das wunderschöne Moped Marke Simson stand am Klostereingang. Fährt wahrscheinlich der Hausmeister.
Die Landschaft zwischen Dargun und dem nahegelegenen Kummerower See wird geprägt durch den Großen Rosin. Die eingedeichten Polderwiesen waren ursprünglich landwirtschaftlich genutzte Grünflächen zum Hochwasserausgleich. Im Rahmen einer groß angelegten Renaturierung wurden sie dauerhaft unter Wasser gesetzt. Inzwischen hat sich eine amphibische Sumpflandschaft entwickelt mit seltenen Vögel wie Seidenreiher und Seeadler. Geheimtipp für Ornithologen – ein Anblick wie in den Everglades.
Auf einer Fahrradtour kamen wir von Dargun in die Nachbarstadt Demmin. Die etwas triste Innenstadt hielt uns nicht lange. Kurz hinter der Stadt direkt an der Peene fanden wir dann doch noch eine schöne Stelle mit Blick auf die Kirche. Zwischen den Bäumen versteckt direkt auf der anderen Uferseite liegt die Direktorenvilla der früheren Zuckerfabrik. Ein Relikt aus der Blütezeit der Stadt, die Produktionsgebäude sind schon lange verschwunden. Und dann war da plötzlich dieses gut erreichbare, offene Kellerfenster – kein Schild betreten verboten! In der zentralen Halle kann man sich mit etwas Fantasie vorstellen, wie hochherrschaftlich der Industrieadel hier wohnte.
Eine große Herausforderung für Städter auf dem Land ist die Suche nach ökologischer, regionaler und innovativer Küche, will man nicht im nächsten Landgasthof vor Schweinemedallions mit Kroketten sitzen. Mangels aufregender Küche in Dargun fuhren wir zum Projekthof Karnitz. Im Gartenlokal kommt das Gemüse direkt vom Gewächshaus in die Küche (selbst beobachtet!) oder es landen ökologisch erzeugte, regionale Produkte auf dem Teller. Fast schon Klischee, feierten Die Grünen im Garten nebenan ihr Sommerfest. Ist uns aber tatsächlich so passiert. Mehr zum interessanten Konzept in Karnitz gibt es hier: projekthof-karnitz.de
Farbenfroh wurde es dann einige Tage später, als uns mal wieder nach etwas mehr Stadt war, in einem indischen Restaurant in Rostocks Vorstadt. Sehenswert der Blick unter die Decke. Rostock liegt ähnlich wie Wismar nur etwa 50 (Auto)Minuten von Dargun entfernt. Die Kröpeliner-Tor-Vorstadt ist trendy, alternativ und Studenten lastig, eine gute Alternative zu den von Touristen belagerten Fischbuden in Warnemünde.
Vor der Stadt kommt das Dorf oder vielleicht auch nach der Stadt, wie manche Städter behaupten, je nach Fahrtrichtung. Wenn aber ein Berliner Großstädter und Sammler von namenhaften Vertretern der Ostfotografie aufs Land kommt, ein imposantes Baudenkmal saniert und dort eine der größten fotografischen Privatsammlungen Deutschlands ausstellt, dann gehen Stadt und Dorf zusammen. Das besondere am Sanierungskonzept begegnet dem Besucher schon an der Eingangspforte. Durch ein Fenster auf dem Türflügel blickt man auf frühere Zeitschichten, die sich in den meisten gestylten Schlosssanierungen nicht mehr zeigen. Tot saniertes Denkmal klingt etwas merkwürdig, trifft aber den Kern dieser zugedeckten Baugeschichten. Der heutige Schlossherr auf Kummerow ging einen anderen Weg. Er lässt die Vergangenheit leben. Immer dort, wo originale Bausubstanz auf handwerkliche Reparaturen trifft, sieht man das. Ob an den Türprofilen, Stuckelementen, Parkettböden oder den Balustraden. Die Verletzungen und Spuren der vergangenen Jahrhunderte bleiben sichtbar.
Das Gebäude leugnet seine DDR Vergangenheit nicht. Hammer und Sichel und FDJ Abzeichen überleben auf den historischen Wandabwicklungen neben den barocken Zierelementen. So überlagert sich die Baukunst der 1730 fertiggestellten Barockanlage mit den dort seit 2016 ausgestellten, großformatigen Fotografien und der neueren Nutzungsgeschichte. Und wenn dann noch der moderne Estrichleger in den WC Anlagen einen wunderschönen Fußboden mit marmorierter Glättung herstellt, dann ist der Glaube an einen Rest von Handwerkskunst noch nicht ganz verloren. Sichtbeton und Estrich sind wie Kuchenbacken, abhängig von Temperatur, Konsistenz, Luftfeuchtigkeit, Trennmittel und dem Können des Bäckers.
Je nach Sonnenstand spiegelt sich der tolle Landschaftspark über die großformatigen Fenster des Schlosses in den Fotografien wider. Wie nebenbei wird auch der Besucher, der nach draußen in die Landschaft blickt, Teil des fotografischen Motivs. Nach soviel Fotokunst sollte man unbedingt nach draußen. Das Ufer des Kummerower Sees mit Badestrand und Cafe beginnt direkt hinter dem Schlossgelände.