TreppeundRaum

In Treppenräumen wirkt Farbe besonders eindrucksvoll. Beim Hinauf oder Hinab begleitet sie bis ans Ziel und steigert das Raumerlebnis. Für den sogenannten Antrittspfosten, also das, was der Hinaufsteigende als erstes in die Hand bekommt, gilt eine besondere Sorgfalt.

Es ist der erste gefühlte Moment der Bergbesteigung und kein Strangprofil in Edelstahl, sondern eher eine gedrechselte Schachfigur, die man gerne berührt. Auch das Treppenauge ist kein Mindestabstand zwischen zwei Treppenläufen, den die Norm definiert, sondern es führt den Blick in die Tiefe oder Höhe.

Hier einige Erlebnisse beim Auf- und Abstieg in Hameln und im Museum Neuruppin. Bauordnungen bezeichnen Treppenhäuser, die für den Brandschutz und die Rettungswege unverzichtbar sind, als notwendig. Schöne Ausschilderungen der Rettungswege wie im Museum Mauritshuis sind aber eher selten.

Das Treppenhaus und Foyer im Hauptgebäude der Universität Rostock ist sicher auch notwendig, aber vor allem einfach unglaublich in Farbe und Raumwirkung. Nach einem Seminar in Rostock bin ich hier abends, der Universitätsbetrieb ruhte bereits, eine Stunde lang nur Treppen gestiegen. Für die 600 Jahre alte Universität, die älteste in Norddeutschland, wirkt der Bau im Stil der Neorenaissance (1867-1870) fast schon jugendlich. Also nicht vergessen, mit der Baugenehmigung und notwendigen Treppenhäusern bekommt man noch keine Architektur. An dieser Stelle beginnt erst der Weg oder man hat bereits die Orientierung verloren. Der Hausmeister in Rostock hat hinter mir abgeschlossen.

Wenn man meine Beiträge liest, ist mir sicher nicht vorzuwerfen, dass ich etwas gegen die historisierende Architektur der Gründerzeit habe. Ich finde auch die Kritik nicht gerechtfertigt, dass diese Architekten nur Stilkopisten der Antike seien. Natürlich verwendeten sie griechische, römische und sogar altägyptische Stilmotive. Ihre eigentliche Baukunst lag aber vielmehr in der Anwendung dieser Bauelemente und Fassaden auf die neuen Architekturtypen der rasant beginnenden Industrialisierung. Also Fabrik statt griechischer Tempel und Industriellenvilla statt römisches Landhaus. Völlig neue Funktionen und Abläufe sehr gekonnt und überzeugend mit alten Motiven interpretiert. Das ist das Wesen von Architektur. Altes aufnehmen, verstehen und in eine neue Architektur umsetzen. Am Ende überzeugt diese Qualität aus einer historischen Kontinuität mehr als das, was wir heute innovative Architektur aus dem Nichts ohne Vorbilder nennen.

Das Treppenhaus im Direktorenhaus der Hannoverschen Maschinenbau AG (Hanomag) von 1871 – Hannover Linden. Dort stehen Sie, die Architektenkollegen und Architekturbegeisterten am Tag der Architektur 2022 mit dem Kopf im Nacken und kommen angesichts der opulenten Materialien wie dem grünen Marmor und der lichtdurchfluteten Eingangshalle aus dem Staunen nicht mehr heraus. Und doch ist da ein Schatten. Denn Hanomag begann mit ziviler Produktion von Lokomotiven, Nutzfahrzeugen und Maschinen für die Bau-und Landwirtschaft und wurde im 3. Reich zur Rüstungsschmiede. Die Gedenktafel für die 1914 – 1918 gefallenen Betriebsangehörigen stammt noch aus der Zeit der zivilen Ausrichtung. Im 2. Weltkrieg, zur Hochzeit der Rüstungsproduktion wäre die Tafel wohl größer ausgefallen.

Als ich mit dem Bauherrn im historischen Vereinshaus von 1880 nahe der Hamelner Altstadt das erste Mal die geschwungene Treppe hinaufstieg, murmelte ich völlig fasziniert etwas von schwebender Wirkung. Später erzählte er mir, dass er seitdem die Konstruktion immer etwas unsicher betrete.

Mein aktuelles Lieblingsprojekt ist die alte Hamelner Baumwollwarenfabrik von 1876. Schaut man auf den Treppenturm, versteht man den Ausdruck Kathedrale der Arbeit.

Von der ursprünglichen Kunstgalerie des letzten Kronprinzen Ernst-August zu Braunschweig Lüneburg und Herzogs von Cumberland ist in Hannover nach den Zerstörungen im Zweiten Weltkrieg heute nur noch das Treppenhaus erhalten. Nur ist für die original erhaltene Raumwirkung allerdings eine etwas unpassende Einschränkung. Die Galerie (1883-1886, Architekt Otto Goetze) gilt als das schönste Treppenhaus der Stadt. Sehr versteckt in einem Innenhof zwischen Theaterstraße und dem Künstlerhaus in der Sophienstraße dienen die Räume heute als Spielstätte für das benachbarte Schauspielhaus. Beim Hinaufschreiten der Treppen lässt einen der Historismus des 19. Jahrhunderts mehrere Jahrhunderte bauhistorischer Stile durchqueren und man läuft vorbei an romanischen, gotischen und barocken Elementen. Alles lichtdurchflutet über hohe Glasfenster wie in einer gotischen Kathedrale. Die Theateraufführungen arbeiten ohne künstliche Kulissen nur mit Licht- und Raumwirkung und der vorhandenen architektonischen Umgebung. Die Zuschauer sitzen auf den geräumigen Treppenpodesten und beobachten die Schauspieler beim Durchwandern der Treppenläufe. Regelmäßig finden im Treppenhaus und der Bar im Erdgeschoss Clubabende mit DJ Veranstaltungen statt.

Wer das Treppenhaus mal ungestört erleben möchte, kann morgens ab 8:30 zum Frühstücken in der benachbarten Cafeteria des Schauspielhauses vorbeischauen.

Bistro im Schauspiel Hannover