Farbe ist eigentlich Reflexion, Absorption und Brechung von Licht einer bestimmten Wellenlänge auf einer spezifischen Materialoberfläche. Die Farbbemusterung bei unterschiedlichen Lichttemperaturen je nach Tageszeit und Himmelsrichtung ist deshalb für Architekten und Bauherren sehr anstrengend.
Der eine steht vor der Südfassade: Gefällt mir gut. Der andere zur gleichen Zeit stirnrunzelnd vor der Ostfassade: Kann ich mir nicht vorstellen. Einfacher hat es die Kleine Kneipe in Hannover. Die Fassade im freundlichen Hellgrau und das Fenster blinkend dynamisch im LED Farbwechsel. Das Herri 0,2 kostet hier noch 1,90 (Stand November 2024). Über das Verschwinden dieser kleinen Biere aus den norddeutschen Kneipen, ein echter kultureller Niedergang, schreibe ich mal irgendwann an anderer Stelle. Bis dahin ist die Textstelle von Martin Suter hier gut aufgehoben.
Peter Taler stand am Fenster und hielt die Bierflache mit zwei Fingern am Hals, damit seine Hand ihren Inhalt nicht wärmte. Als hätte er seinem Feierabendbier jemals genügend Zeit gelassen, warm zu werden. […] Taler trank einen Schluck. Von allen Getränken, die er kannte, war ihm eiskaltes Bier das liebste […] Nur den Geruch mocht er er nicht. Deshalb trank er es aus der Flasche. Je enger das Gefäß, fand er, desto diskreter die Geruchsentfaltung.
Martin Suter Die Zeit, die Zeit
Treff 2000 Hannover Engelbosteler Damm
Über die Wahl und Komposition von Farben kann man endlos diskutieren. Im 19. Jahrhundert stritten die Baumeister und Historiker heftig über die Frage, ob die griechisch antiken Bauten ursprünglich farbig oder weiß gestaltet waren. Zu Zeiten des Bauhauses gab es dann wieder die gleiche ideologische Debatte: Sollen wir lieber farbig oder weiß denken? Die Impressionisten lassen Licht über die Flächen fließen. Weiß nimmt die Farbe der Umgebung auf. (Mädchen im Freien – Hugo von Habermann 1888)
Dazu passen auch die Ölgemälde von Edite Grinberga. Nicht über wissenschaftlich physikalische Erklärungen sondern über Lichtmalerei auf weißen Flächen versteht man es am besten. Farbe ist Licht. Kein Wunder, dass Edite Grinberga malerisch auch Vermeer zitiert. Lichtdurchflutete, helle Großformate in beruhigender Leere.
Außerdem bringt Weiß eine Abstraktionsebene mit sich. Es ist dann kein konkreter Raum, es ist der Raum an sich.
Edite Grinberga
Edite Grinberga – Poesie des Augenblicks – 12. Oktober bis 1. Dezember 2024 im Kunstkreis Hameln
Lichtmalerei auf weißen Flächen gibt es natürlich auch im richtigen Leben. Einige Lichtmomente später zu Besuch in Welver.
Nach den strahlend weißen Flächen der Bilderwelt von Edite Grinberga ein paar Tage später der spontane Vorschlag zum Besuch im MUSEUM FÜR TEXTILE KUNST in Hannover Kirchrode. Da wusste ich noch nicht, dass wir dort tief in Farbe eintauchen. Seltsam, über 20 Jahre sind wir in Hannover und haben dieses wunderschöne kleine Museum auf unserem Weg durch die Kunstorte einfach liegen gelassen, die Qualität der Ausstellung und den tollen Ort unterschätzt. Auch online präsentiert sich das Museum sehr professionell. Wiederholen möchte ich diese umfangreichen Informationen nicht. Es gibt wie immer meine subjektiven, atmosphärischen Eindrücke von Ort und Mensch. Wir standen vor einem der vielen übriggebliebenen Luftschutzbunker mitten in einem bürgerlichen Wohngebiet in Hannover Kirchrode. Außen sehr abweisend mit moderner Penthouse Architektur auf dem Dach. Ein fensterloser Betonwürfel, ideal für lichtempfindliche Textilkunst präsentiert auf einer Fläche von 400 qm. Der Empfang in einem kleinen Foyer, das in seiner Mischung aus Büro- und Infotresen sehr viel persönliches ausstrahlt. Inzwischen hat sich das ursprünglich privat geführte Museum als Verein organisiert. Der Museumsrundgang ist grundsätzlich als Führung konzipiert. Das schafft eine direkte Ansprache und persönliche Bindung zu den Museumsschaffenden. Ohne die charmanten und anekdotenreichen Erzählungen hätten wir den Ursprung der Sammlung auch nicht verstanden. Beindruckend ist die von der Modedesignerin und Museumsgründerin Erika Knoop aus allen Kontinenten und Stilepochen auf Reisen zusammengetragene Modekunst der Dauerausstellung. Besonders in Erinnerung bleiben Details mit modischen Besonderheiten, die heute fast vergessen sind. Schwarze Brautkleider, noch bis zum Anfang des 20. Jahrhunderts auch in Deutschland weit verbreitet, wirken aus unserer heutigen Sehgewohnheit seltsam fremd. Unendlich die Unterschiede der Webtechniken aus den unterschiedlichen Kulturen. Derartig komplex, dass es vor der Arbeit, dem eigentlichen Webvorgang zur Fokussierung sogar Meditationstechniken gibt.
Durch den Bereich der Sonderausstellung und das Thema digitale und virtuelle Mode führte uns die Kommunikationswissenschaftlerin Jantje Salander, die zusammen mit Irene Karchevskyy, einer ukrainisch-deutschen Modedesignerin die Ausstellung konzipiert und realisiert hat.
Beindruckende Visualisierungen von Mode aus Feuer und Eis und Informationen zu digitalen Entwicklungen, die mir völlig neu waren. Entstanden ist der Trend zu Skins, also virtueller Kleidung, die mein Avatar trägt oder die ich selbst auf Portalen wie tiktok anziehe, aus der Gaming Industrie. Ausprobieren kann man das auch im Museum. Ich fand mich sehr feminin.
Inzwischen von der Modeindustrie und vielen Labels übernommen, gibt es alternativ zu allen großen analogen Modeevents virtuelle Modeschauen, die man selbst als Avatar besuchen kann. Das Portal DressX vermarktet virtuelle Mode vieler Anbieter für alle Auftritte, die man in der digitalen Welt plant.
Die bleibende Erkenntnis aus diesem Museumsbesuch ist für mich der radikale Wandel, den das Virtuelle bereits auf unser Leben genommen hat. Wir reflektieren oft über diese digitale Welt, aber die Dynamik der Veränderung zeigt die Welt der Mode, die in unserem Alltag immer dabei ist und uns als zweite Haut begleitet, besonders deutlich. Die Sonderausstellung läuft vom 07.03.2024 bis zum 14.12.2024. Wegen der positiven Resonanz ist eine Verlängerung bis 2025 geplant. Das wird dann sicher auf der Homepage angekündigt.
Im Weimarer Gartenhaus arbeitete Goethe auf einfachen, unbehandelten Fichtendielen, die sich mit dem Grünton der Wände auf angenehme Weise verbinden. Es versöhnen sich auch die gegensätzlichsten Lieblingsfarben. Ein schönes Beispiel ist der rostrote Hintergrund zum grünen Getränkebrunnen in einer Jugendstilvilla in Hameln – eine historische Minibar.Auf die farbigen Putzfassaden der Altstadthäuser in Görlitz wirft die Sonne den Schatten der Bäume. Selbst der eingereihte Grauton wird mit Rotanteil zum Warmton. Nicht weit von dieser Häusergruppe strahlt das Orange des Schlesischen Museums. Farbharmonien, die man in Neubaugebieten vergeblich sucht, weil jeder sich individuell und isoliert entscheidet.
Denkmalpfleger und Restauratoren werden leidenschaftlich bei der Frage, welche Farbfassung von 10 freigelegten Schichten man denn nun rekonstruieren und sichtbar lassen solle. Hier an einem Pfosten im Treppenhaus des Burgsitzes Spangenberg bei Melsungen (1565 fertiggestellt, 1737 Umbau in die heutige Form, Sanierung 2009-2017) fiel die Entscheidung für die holzsichtige Oberfläche. Farbtheorien sind mehr oder weniger hilfreich und überzeugend. Wegweisend in der Anwendung für Architekten ist sicher die Polychromie Le Corbusier. Dabei ist eine gelungene Komposition keine Entscheidung von Grün, Rot, Blau oder Gelb, sondern mit welcher Sorgfalt und in welchem Zusammenhang Farbtöne zueinander gesetzt werden und welche Farbe aus dem Material als Partnerfarbe hinzukommt.
Manchmal würde Farbe auch tristen, elementierten Rasterfassaden helfen. Aber stattdessen wählt man zur Steigerung der Trostlosigkeit ein freundliches RAL 7035 Lichtgrau. Welche Chance hat da der Hausbewohner? Sich zusammen mit dem Nachbarn auf die gleiche Schirmfarbe RAL 4003 Erikaviolett einigen und Natur auf den Balkon holen wie hier in der öden Begleitbebauung am Spreekanal in Berlin. Die gleichen Lieblingsfarben hatten wohl auch der verantwortliche Architekt und der verantwortungslose Farbbeutelwerfer in Hamburg. Es dauert allerdings nur eine Satzlänge und ich muss mir widersprechen.
Als ich auf einer Exkursion zur Betonsanierung durch die Hochschule für Theater und Musik in Hannover geführt wurde, fand ich das Erikaviolett 4003 ( vielleicht auch 4010 Telemagenta… ) des weichen Velourteppichs, der die rauhen, brettgeschalten Betonflächen einwickelt, plötzlich total faszinierend. Man kann zu Farbe also nicht pauschalisieren. Alles hängt von der individuellen räumlichen Situation und Materialität ab. Die Hochschule von Rolf Ramcke im Stil des Brutalismus entstand in dreijähriger Bauzeit zwischen 1970-1973 und steht seit 2011 unter Denkmalschutz. Neben der Teppichfarbe gab es natürlich auch sehr spannende Schilderungen zur aufwendigen Planung und Ausführung der Sanierung.
Die Abwesenheit von Farbe provoziert und es bleibt die Bitte, mehr davon einzusetzen. Rot ist nicht so schlimm wie man denkt (Innenhof in Celle und Fassade in Den Haag).
Wenn allerdings das Sonnenblumengelb von Dynamo Dresden ausgerechnet auf der Tür zur Dopingkontrolle seltsam hell gerät, wirkt das schon etwas merkwürdig.
Wer sich also beim Farbeinsatz unsicher ist, zieht einfach mal die Profis zu Rate. Nein, ich meine nicht die Farbpsychologen. Im farbpsychologischen Konzept meines Rintelner Gymnasiums (1975) waren die Fluchttreppenhäuser zum 30jährigen Abiturtreffen tatsächlich immer noch wie früher feuerwehrrot, nur etwas blasser als in der Erinnerung.
Irgendwann haben Schüler und Lehrer gemeinsam die Freiflächen um die Schule herum als natürliches Biotop angelegt und das Gebäude zuwachsen lassen. Eine grüne Lösung für die in Betonfertigteilen konstruierten, beliebten Schulsystembauten der 60er und 70er Jahre.
Nein, die eigentlichen Farbkönner sind die alten Meister, die in Ölgemälden auf geniale Weise Pigmente komponierten. An diesem Zusammenspiel kann man sich orientieren und Harmonien oder Kontraste aufgreifen. Galerien für alte Kunst liefern dazu die Originalvorlagen. Ein paar farbgetreue Nahaufnahmen mit dem Smartphone, wenn die Aufsicht gerade mal wieder den Raum wechselt, halten die Farbkomposition fest. Leidenschaftliche Anhänger von Farbsystemen können sich zur Farbabnahme von der Originalfläche und Umrechnung in das RAL System natürlich auch einen bluetooth fähigen Farbscanner zum Smartphone oder eine color Scan App zulegen. Museumsbesuche werden dann aber immer auffälliger. Noch schöner ist es allerdings, wenn man die Farben des Originals mit dem des Gemäldes vergleichen kann, wie hier am Beispiel des Schlosses Pillnitz bei Dresden (1. Bauabschnitt ab 1720), dessen intensive Farbzusammenstellung besonders aus der Nähe beeindruckt.
Die fotografischen Ausschnitte von Vermeer und Rembrandt stammen aus dem Museum Mauritshuis in Den Haag. Die Aufsicht war dort nicht so streng. Fotografen kennen die Technik, sich in Lichtführung und Farbkomposition an alten Meistern zu orientieren.
Die russische Fotografin Katerina Belkina verblüfft in ihrem eindrucksvollen Bildband My Work Is My Personal Theatre (2020) mit Fotografien im Stil historischer Gemälde.
Farbiges Glas ist übrigens kein Privileg von Kirchenfenstern. Die liegen zum Scannen allerdings auch sehr schwer erreichbar hoch in den Fassaden. Die sogenannten Kathedralgläser der Gründerzeit und des Jugendstil, farbig eingesetzt in Fenster, Veranden oder Orangerien, wurden handgegossen und ausgewalzt.
Hannover ist wie Berlin eine sehr türkisch geprägte Stadt. Auch ich in meiner Außenperspektive zur türkischen Esskultur jenseits von Döner stehe dann staunend vor dem bunten Schaufenster. Eine türkische Patisserie am Engelbosteler Damm (Nordstadt Hannover) neben dem deutschen Grau der Hausfassade. Mein Hausarzt hat mir dringend empfohlen, Zucker zu reduzieren. Ich darf nur schauen.
Bereits in viel früheren Epochen entdeckt man beeindruckende Farbkompositionen. Im Römisch Germanischen Museum in Köln ist eine römische Wandmalerei ausgestellt, die bei Ausgrabungen eines römischen Stadthauses 1969-70 in Köln gefunden wurde. Nach Rekonstruktion der noch gut erhalten Flächen zeigt sich die einstige Pracht des Wandschmucks auf den rot, gelb und schwarzen Grundtönen. RAL 7035 geht natürlich schneller und einfacher.
Wenn wir über Rot reden, wie in meinem traumatisch, gymnasialen Erlebnis vor über 30 Jahren, dann hilft zur Farbentscheidung oft auch die Naturbeobachtung. Die Farbauszüge verschiedener Holundersorten sind im deutschen Gartenbaumuseum in Erfurt zu sehen und zeigen im Rotspektrum feinste Tonabstufungen. Berühmt ist Erfurt aber nicht für diese Holunderfarben, sondern für das sogenannte Erfurter Blau, der Farbe des Mittelalters.
Die Stadt und die Region im Umkreis von etwa 30 km wurden zu einem Zentrum für den Anbau von Färberwaid, aus dem das Indigoblau, zum Beispiel zur Tuchfärbung, in Pulverform gewonnen wurde. Erfurt kam als europäisches Handelszentrum in der Blütezeit vom 13. Bis 16. Jahrhundert so durch eine einzige Farbe zu großem Wohlstand.
Das Gartenbaumuseum Erfurt wurde bereits 1961 im Rahmen der I. Internationalen Gartenbauausstellung der sozialistischen Länder in der historischen Zitadelle Cyriaksburg auf dem Gelände des Egaparks eröffnet. Die ursprünglich als Kastell errichtete Festungsanlage aus dem 15. Jahrhundert wurde im 17. und 19. Jahrhundert zur Zitadelle umgebaut. Nach umfangreichen Sanierungen wurde die 1500 qm große Ausstellung 2000 wiedereröffnet und zeigt historische und aktuelle Themen zum Thema Gartenbaukunst, Natur und Klima.
Der zur Gartenbauaustellung gestaltete und denkmalgeschützte Park ist mit den Ausstellungspavillions, Wasserbecken und Möblierungen ein eindruckvolles Zeitzeugnis und hellblau, fröhliches Farbkonzept der 60er Jahre. Riesige Etageren, entworfen wie für die Wohnzimmertische dieser Zeit, verteilen sich zur Bepflanzung überall auf dem Gelände.
Ist man auf Reisen und steht nach dem Erwachen in ungewohnter Umgebung etwas zerknittert vor einem annähernd gleichfarbigen Vorhang, dann beginnen alle anwesenden Betrachter noch vor dem Frühstück zu grübeln. Ist das Hemd eher blau und der Vorhang schon grün? Und wie nennen sich diese Töne denn überhaupt?