Allein Begriffe wie Bauindustrie und Bauprodukte zeigen, wie weit sich das Bauen vom traditionellen Handwerk entfernt hat. Eines letztes Refugium alter Handwerkstechniken ist die Denkmalpflege. Restaurieren und Rekonstruieren bedeuten Sorgfalt und Identifikation mit alten Bautechniken. Keine endlosen Quadratmeter Wärmedämmverbundsystem im vorproduzierten Sondermüllverfahren.
Gerne wird der Mythos, dass ein Neubau mit optimierter Wärmedämmung eine bessere CO2 Bilanz besitzt als ein 500 Jahre alter historischer Bau, gleich mit verkauft. Betrachtet man die Energiebilanz des bei großen Projekten so gerne verbauten Betons, von Industrieziegeln oder von Aluminiumfassaden, dann zweifelt man an den rechnerischen Fähigkeiten der Baustoffindustrie und ihrer politischen Lobby. Den hohen Primärenergieverbrauch der Baustoffproduktion muss man natürlich in einer relativ kurzen Lebensdauer der Gebäude durch aufwendige Gebäudetechnik wieder einsparen. Die Wärmepumpe rauscht dann romantisch unter dem Schlafzimmerfenster des Nachbarn.
Es wird übrigens inzwischen nicht mehr gemauert, sondern in großen Blöcken geschnitten und geklebt. So entstehen merkwürdige, moderne Mauerwerksverbände, die sich hinter erdölbasiertem Polystyrol verstecken. Der Bauunternehmer in meinem Beispiel schreibt dazu auf seine Baustellenabsperrung neben den Firmennamen: Baut was bleibt. Was meint er damit? Die lange Halbwertzeit der Wärmedämmung auf der Deponie? Architektur beginnt mit dem sorgfältigen Aufeinanderschichten von zwei Ziegelsteinen (Mies van der Rohe). Verstanden hat das sein Zeitgenosse Fritz Höger an der prägnanten Eckbebauung von 1928 am Stephansplatz in Hannover. Die Sorgfalt für den Eckverband oder den runden Abschluss findet sich in den 20er und 30er Jahren des 20. Jahrhunderts natürlich auch in den Möbeln wieder. Bruno Paul entwarf für die legendären Deutschen Werkstätten in Hellerau einzigartige Objekte, von denen einige im Schaudepot des Kunstgewerbemuseums Schloss Pillnitz ausgestellt werden. Die Veredelung der Fläche kommt aus dem Material und das Ornament aus der Spiegelung der Furnierformate. Die gleich Philosophie wie in der Architektur von Adolf Loos.
Die Sorgfalt der konzentrierten Maler(innen) wurde beobachtet in Hameln und Celle. Im Babelsberger Park restaurierten die Steinmetze eine historische Brunnenanlage vor dem bereits 1835 eingeweihten Schloss. Ein Hauptargument für die oft umstrittenen Rekonstruktionen zerstörter historischer Bauten wie die Dresdener Frauenkirche, das Potsdamer und Berliner Schloss und die Bauakademie in Berlin ist übrigens, dass neben neuen Bautechniken wie digitale Maschinentechnik auch alte Handwerksverfahren eingesetzt werden müssen und dieses Kulturerbe so im Schaffensprozess erhalten und bewahrt wird.
Die Ausgangslage war immer gleich. Es gibt ein konstruktives Problem und die passende Antwort des Handwerks. An den mittelalterlichen Kathedralen wurden die Stoßfugen der Horizontalgesimse mit Blei vergossen, das sich in den kleinsten Hohlräumen kraftschlüssig mit dem Naturstein verzahnt. Später glaubte man das Problem mit Mörtel oder noch schlimmer mit Kunststoffmassen lösen zu können. Völlig ungeeignet für eine Fuge, auf der dauerhaft Wasser steht. Am Hochzeitshaus in Hameln lebt die jahrhundertealte Technik des Bleivergusses zur Fassadensanierung im Jahr 2023 wieder auf.
Der dreiwöchige Homo Faber Event auf der Insel San Giorgio Maggiore vor Venedig möchte über Innovation und Design die traditionelle Handwerkskunst Europas bewahren und beleben. Im Kern entstand der weitläufige historische Gebäudekomplex der Insel aus einem Benediktinerkloster im 1. Jahrhundert und einer späteren Basilika im 16. Jahrhundert durch Palladio. Die dort seit 1951 ansässige Stiftung Fondazione Giorgio Cini baute die Anlage zu einem Kultur-, Forschungs- und Veranstaltungszentrum für Musik, Theater, Geisteswissenschaften und Kunst aus. Entlang der langgestreckten Gebäudeflügel und Arkaden wandert man durch ein System von geschlossenen und miteinander verbundenen Hof- und Parkanlagen. Dieser ständige Wechsel von Innen und Außen macht den besonderen Reiz des Ortes und der Veranstaltung aus. Homo Faber zeigt modernes Handwerk und Design vor dem Hintergrund der historischen Säle und Gärten. Videokunst mit Soundtrack trifft auf Blütenkompositionen, skulpturale japanische Porzellankunst zeigt sich vor alten Bibliotheksschränken oder Theaterkostüme in einem ehemaligen Schwimmbad.
Etwa 400 Designer und Kunsthandwerker aus ganz Europa und Japan bieten eine breite Materialvielfalt aus Glas, Textilien, Metall, Porzellan, Holz und Papier. Unterschiedliche Themenschwerpunkten wie Theaterszenografie, Innenarchitektur und Mode mit Livedemonstrationen der teilweise sehr alten Handwerks- und Bearbeitungstechniken bilden den spannenden Rahmen. Neben der Biennale ist dieses Event und die Insel sicher eine sehr erfrischende Alternative zum Glastourismus auf Murano. Übrigens muss man auf San Giorgio Maggiore auch außerhalb der Homo Faber Veranstaltung nicht auf das Thema Glas verzichten. Das Kulturprojekt und Glasmuseum Le Stanze del Vetro legt den Fokus auf künstlerische Innovation und Weiterentwicklung des Materials und zeigt auf 650 qm wechselnde Ausstellungen zum Thema wie die Glas-Licht Objekte des legendären Mailänder Design Unternehmens FontanaArte.