Genau wie die digitale Welt ist Architektur visuell von Bildern überflutet. Für ein Reset und eine Ordnung der Gedanken helfen deshalb Texte und Bücher.
Baumuster
Was kann man Investoren raten, die Qualität in ihre Projekte bringen wollen? Ganz einfach: Lesen! Und zwar Eine Mustersprache von Christopher Alexander (Amerikanische Ausgabe 1977, Deutsche Ausgabe 1995). Mit fundamentaler Kritik an der Architektur der Moderne versucht die amerikanische Forschungsarbeit auf fast 1300 Seiten zu ergründen, was die alten Meister mit traditionellen Bautechniken früher besser machten und wie wir daraus lernen können. Das ist kein prachtvoller Architektur Fotoband, wie wir ihn heute gewohnt sind. Viel Text, wenige Schwarzweissaufnahmen und Skizzen formulieren ein Glaubensbekenntnis des Bauens. Durch kurze Kapitel auch abschnittsweise gut zu lesen immer zu der architektonischen Frage, die man gerade zu lösen hat. Alles dabei vom Städtebau über die Gebäudeebene bis zum konstruktiven Detail. Für alle, die immer noch glauben, dass monumentale Stahlglasarchitektur für mehr Transparenz, Demokratie und menschlichen Masstab steht und heutige Bebauungspläne Architektur- und Siedlungsqualität schaffen. Man versteht und hinterfragt, ohne dabei konservativ zurückzufallen. Das Buch ist aktueller denn je.
Stadtstempel
Das hat natürlich auch seinen ganz besonderen Reiz. Das Stempelset von Aurelien Debat macht es möglich. Der französische Grafiker und Illustrator legt den Schwerpunkt seiner Arbeit auf plakative Architekturdarstellung. Individuell kann man sich also Städte isometrisch und räumlich zusammenstempeln. Weil ich Stadtarchitektur immer so kritisch bespreche, hat mir dieses tolle Set eine gute Freundin für meine eigenen Idealvorstellungen geschenkt. Die Schachtel passt ins Bücherregal. Deshalb darf sie auch in dieser Rubrik stehen.
TonStadt
Die kleinen Häuser aus Raku Keramik wurden in einer kleinen Tonwerkstatt in Tallin hergestellt. Für den Raku Brand benötigt man wegen der großen Temperaturschwankungen einen hohen Schamott Anteil. Dadurch entstehen die schwarze Grobstruktur und die typischen Glasurrisse der ursprünglich in Japan entwickelten Technik. Nach 2 Jahren in unserer Wohnung riechen die Häuser immer noch nach Rauch. Das erinnert mich an die schwarzen Küchen in alten Bauernhäusern. Dort wurde über offenem Herdfeuer gekocht und geräuchert. Wer das mal riechen möchte, dem ist das beindruckende Freilichtmuseum in Detmold zu empfehlen. Dort wandert man auf der riesigen Fläche von 90 ha durch Dörfer und vergangene Zeiten.
lwl-freilichtmuseum-detmold.de
Ganz besonders Spaß macht mir beim Stempeln und Aufstellen der Tonhäuschen übrigens, sämtliche Vorgaben des modernen Baurechts zu ignorieren. Ich unterschreite Grenzabstände ganz erheblich und setze Fenster einfach in Brandüberschläge. Ganz genau wie unsere Vorfahren.
GeschmacksBildung
Was unterscheidet das Gesundheits- vom Bauwesen? Der Patient sitzt dem Arzt gegenüber, der ihm Diagnose und Behandlung, also die Aufgabe erläutert. Nur wenige Patienten breiten dabei die eigenen, heimlich auf Internetportalen angelesenen Informationen aus. Die Autorität des Arztes wirkt in den meisten Fällen.
Der Bauherr dagegen sitzt vor dem Architekten und erklärt ihm seine Vorstellungen vom Bauen und Entwerfen. Die Informationen dazu natürlich auch aus dem Internet, Wohnmagazinen und den beliebten Baufachmärkten. Der Vertrauensverlust ist im Einfamilienhausbau besonders ausgeprägt. In der Folge ziehen sich viele Architekten aus diesem Bereich zurück oder der Bauherr fragt gleich den Bauträger. Aber da war doch noch meine Partyfrage an die Kunstlehrerin, wie die Bildung zum Bauen in die Schule komme. Die Antwort dazu kam reflexartig. Wie ich das denn meinte? Am Ende sei doch alles Geschmacksache. An dieser Stelle der Diskussion folgte dann die Buchempfehlung. Manfred Sack Wie entsteht gute Architektur? (BDA Bremen 1995) Ein zentraler Satz aus dieser publizierten Rede, die der Autor ursprünglich 1993 vor dem Bund Deutscher Architekten in Bremen hielt, lautet: Geschmack ist keine Gefühlsregung, sondern setzt Urteil voraus. Er basiert auf Wissen, auf Kenntnissen, also auf Unterscheidungsmerkmalen. Erst wenn ich informiert bin, kann ich Geschmack ausbilden – und bin urteilsfähig.
Logisch, könnte man hinzufügen, denn sonst bräuchte man sich in der Schule ja auch nicht mit Qualitätsmerkmalen von Literatur beschäftigen, um ein gutes Buch zu erkennen. Manfred Sack kritisiert, dass die Baukunst kein Teil der Allgemeinbildung an Schulen ist. Für Lehrer, die das ändern wollen, bieten alle Architektenkammern breit gefächerte Angebote. Die links zu den einzelnen Landeskammern sind bei der Bundesarchitektenkammer zentral gelistet. Über die Suchfunktionen lassen sich Projekte und Themen für die entsprechende Schulform, wie zum Beispiel Grundschule, filtern. Findet man bei der eigenen Landeskammer nicht das passende, einfach in den anderen Bundesländern nachschauen. Etwas pädagogische Geduld. Das Angebot ist sehr umfangreich und man braucht Zeit, um sich zu orientieren. Interessante Angebote zum Thema Architektur und Bildung hat auch die Wüstenrot Stiftung. Hier gibt es im free download zum Beispiel Publikationen für weiterführende Schulen wie Stadtspäher oder Architektur trifft Schule.
Architektur macht Schule – Bundesarchitektenkammer e.V. (bak.de)
Sonne, Wind und Regen – Architektur macht Schule. (architektur-macht-schule.de)
Bildung: Publikationen – Wüstenrot Stiftung (wuestenrot-stiftung.de)
Schönheit und Qualität
Mein Blog hat keine Kommentarfunktion. Menschen, die ich gerade analog treffe, frage ich deshalb immer direkt nach ihrer Meinung. Auch wenn sie gar nicht gefragt werden wollen. So wie vor kurzem die Patienten im Wartezimmer meines Hausarztes. Sie konnten nicht weglaufen. Meine zugegeben sehr absolute Meinung zur architektonischen Qualität wird erstmal hinterfragt. Man müsse doch auch einfach mal bauen, um Wohnungen zu schaffen. Das hat mich nachdenklich gemacht und ich möchte den Leser(in) argumentativ auf halber Strecke abholen. Warum ist Qualität gerade im Massenwohnungsbau notwendig? Deshalb zitiere ich hier aus dem Essay Band von Vittorio Magnago Lampugnani. Ich finde, er formuliert dazu viel besser als ich.
Wo sind in unseren zeitgenössischen Häusern und Wohnungen die großen Entrées und die lichtdurchfluteten Treppenaufgänge geblieben, die sie in einer nicht einmal allzu weit zurückliegenden Vergangenheit schmückten? Wo die weiträumigen Zimmer mit klarem Zuschnitt und hohen Decken? Wo die dicken, schweren, solide verkleideten oder sauber verputzten Mauern, wo die schön entworfenen und liebevoll gearbeiteten Türen, die elegant proportionierten und fein geschnittenen Fenster? Aber lieber Herr, höre ich schon einwenden, was sie fordern würde heute ein Vermögen kosten. Und außerdem gibt es nicht mehr die Handwerker, die so etwas zu machen in der Lage sind. Vielleicht wollen Sie ja auch noch einen drei Zentimeter starken, auf Rippen aufgenagelten Parkettfußboden, einen vollkommenen glatten Innenputz und ein mit Marmor verkleidetes Bad ohne zusammengeflickte Platten? Das ist alles ein Luxus, den man sich nicht mehr leisten kann. In der Tat, es ist ein Luxus. Aber wir leisten uns doch vieles: Warum nicht auch diesen? Genauer gefragt: warum diesen nicht mehr? In fast allen Bereichen findet das exakte Gegenteil statt: Die Standards werden höher. Von einem modernen Auto, zum Beispiel (dem Mini Cooper), erwarten wir längst ganz selbstverständlich Synchrongetriebe oder Automatik, elektronische Einspritzung, Servobremse und Servolenkung, zentrale Türverriegelung, elektrische Scheibenheber, rückenverstellbare ergonomische Sitze, stereophonisches Autoradio und Klimaanlage; nicht zureden von der Mehrschichtenlackierung, den Gürtelreifen und der Polsterung in Stoff und Leder. In der Architektur: nichts. Die Standards sinken. Was heißt sinken: Sie stürzen. Und so ertragen wir in einem modernen Haus klaglos triste Eingangsdielen und rachitische Treppenaufgänge, dünne mit zwei Zentimeter dicken Steinplatten verkleidete Mauern mit offenen Fugen, bei denen man noch die Abstandshalter und die scheußlich gelbe Wolle der Wärmeisolierung sieht, trostlos glatte, furnierte Hohltüren und klobige Fensterprofile aus eloxiertem Aluminium. Warum? Die Antwort ist natürlich komplex, mit Implikationen normativer, wirtschaftlicher, soziologischer und auch politischer Art. Aber der Kern ist leicht erklärt und eigentlich nur eine Feststellung. Die Kultur der Architektur ist zerstört.
Vittorio Magnago Lampugnani
Die Modernität des Dauerhaften (Wagenbach Verlag 2011)
Während der neue, alte Mini Cooper mit hohem Gestaltungsanspruch wieder auferstanden ist. Er wäre ein Vorbild.
Dem füge ich nur noch einen Gedanken hinzu. Diesmal nicht zum Auto, sondern zur Mode. Wir bauen meist in Polyester, nicht mal in Baumwolle, das ginge ja noch. Aber sollten wir nicht öfter auch mal in Cashmere und Merino bauen? Hat länger Bestand, wird nicht so schnell weggeworfen, sprich abgebrochen und ist deshalb klimafreundlich. Ist Mode etwa wichtiger als Architektur? Und außerdem gibt es Baumwoll-Merino Mischgewebe. Das wäre wenigstens schon mal ein Anfang. Bedeutet dann aber auch etwas mehr Gestaltung beim Briefeinwurf. Und natürlich ist die Erkenntnis, die in der Diskussion regelmäßig kommt, dass gute Mode und qualitätvolle, nachhaltige Architektur vielen Menschen nicht wichtig sind, gerade ein Grund sich Gedanken um Lösungen und Veränderungen zu machen. Denn alles andere wäre Fatalismus und ich müsste aufhören, hier zu schreiben…
Gehts noch einfacher ?
Manchmal dauert es sehr lange, um zu einer wirklich einfachen Erklärung zu kommen. Aber es geht. Viele Bücher später. Die entscheidenden drei Kriterien für gute Architektur ohne akademische Herleitung und komplizierte Beispiele allgemein verständlich und kurz formuliert. Ausgerechnet bei einem Architekturtheoretiker aus der Antike. Der römische Architekt Vitruv lebte im 1. Jahrhundert vor Christus und schrieb das heute sehr bekannte Werk Zehn Bücher Über Die Architektur. Zur Entwarnung, die Lektüre kann man abkürzen. Die Kernaussage des Buches findet sich schon im 3. Kapitel und man kann sich die etwas anstrengenden weiteren Kapitel über die Grundlagen der antiken Baukunst ersparen. Nach Vitruv muss gute Architektur fest, nützlich und schön sein. Das wars! Frage beantwortet. Oder nicht? Oder doch nochmal über die Mode:
Fest: Ein gutes Kleidungsstück, Pullover oder Kleid sollte haltbar und aus strapazierbarem Gewebe sein. Für manche Situationen manchmal sogar reißfest oder regensicher. Im Idealfall stellt sich das Material wie beispielsweise ein dünner Merinopullover auf Temperaturwechsel ein. Auch von kostbaren und dünnen Stoffen erwartet man eine gewisse Widerstandsfähigkeit. Man möchte das Kleid nicht nach einmaligem Tragen oder einer Reinigung entsorgen. Gleiches gilt für die Architektur und deren Konstruktion. Auch hier kein früher Abriss nach wenigen Jahrzehnten.
Nützlich: Eine gute Kleidung sollte dem Anlass entsprechend angemessen sein. Ob Opernbesuch oder Stadtbesichtigung, sie dient dem Nutzen. Man muss sich in der Situation, in der Bewegung und beim Tragen wohl fühlen. In der Architektur entspricht dies den unterschiedlichen Gebäudefunktionen mit den verschiedenen Tätigkeiten und Aufgaben des Menschen im Raum.
Schön: Die gewählte Kleidung muss die Persönlichkeit des Trägers unterstreichen. Erst durch die Ästhetik der schönen Farben, Formen und Schnitte wird sie zur Mode. Das nennt sich in der Architektur Baukunst.
Man darf natürlich sagen, Mode und Baukunst sind mir egal. Das Recht nehmen sich viele heraus…
Hausaufgaben
Erstaunlich für Schulbuchverlage wie die Westermann-Schroedel-Diesterweg Gruppe, die Generationen von Schülern mit Aufgabestellungen wie Analysiere den Text unter 3b mithilfe der Abb. 7d gequält hat, ist das grafisch und textlich sehr gute Lehrmaterial im Band Architektur – Werkstatt von Susanne Szepanski. Liegt sicher an der Autorin, die sich als Architektin intensiv mit Architekturvermittlung beschäftigt. Dieses Buch habe ich übrigens auch der Kunstpädagogin empfohlen.
Eigenheim(at)
Ein durchschnittliches deutsches Neubaugebiet im Großraum Hannover. Auch hier sehen die Häuser aus, als hätte man Löcher in einen Schuhkarton geschnitten, um das Zwergkaninchen zum Tierarzt zu fahren. Ökologisch sinnfreie Thuja- und Kirschlorbeerhecken waren mal Mode. Damals ahnte man noch nicht, dass es bald schlimmer kommen würde. Neben den anthrazitfarbenen Fensterrahmen und den zugeparkten, anthrazitfarbenen Asphalt- und Betonsteinflächen stehen jetzt Stabgittermatten mit blickdichter anthrazitfarbener Folie. Über diesen Traum vom Leben auf dem Land inmitten von ungestörter Natur schreibt der Architekturkritiker Niklas Maak sehr unterhaltsam in Wohnkomplex (5. Auflage 2018) aus dem Carl Hanser Verlag. Erheiternd und gleichzeitig schonungslos zerlegt wird die Illusion vom idyllischen Eigenheim auf der grünen Wiese. Mit Blick auf die aktuellen Entwicklungen im Bau- und Immobiliensektor erfährt man viel über die wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Hintergründe, Strategien der Bauwirtschaft und alternative Entwicklungen. Ein Buch ideal für Bauherren auf dem Weg zur Veränderung. Denn Häuser sind Psychogramme ihrer Erbauer. Dazu noch etwas Poesie und der link zu einem sehr lustigen youtube clip zum Thema.
Der Lattenzaun
Es war einmal ein Lattenzaun,
mit Zwischenraum, hindurchzuschaun.Ein Architekt, der dieses sah,
stand eines Abends plötzlich da –und nahm den Zwischenraum heraus
und baute draus ein großes Haus.Der Zaun indessen stand ganz dumm
mit Latten ohne was herum,ein Anblick gräßlich und gemein.
Drum zog ihn der Senat auch ein.Der Architekt jedoch entfloh
nach Afri – od – Ameriko.Christian Morgenstern 1905
Zur politische Realität in der Diskussion zu Einfamilienhäusern noch zwei Zitate ohne weiteren Kommentar. Das Wort Einfamilienhaus wird dabei interessanterweise geschickt vermieden, ist aber gemeint.
Ein bezahlbares Eigenheim für sich und die Familie: Das ist eines der gesellschaftlichen Grundversprechen für ein gutes Leben. Bis zuletzt stand es infrage. Nun gibt es Anlass zur Hoffnung.
Gordon Repinski – Focus online Juli 2023
Ich begrüße alles, was es Familien ermöglicht, , dass sie sich ein Eigenheim leisten können. Ein Teil dessen kann auch eine Öffnung bei den Hebesätzen der Grunderwerbssteuer sein. Den Vorschlag von Christian Lindner hier unterstütze ich.
Bundesbauministerin Klara Geywitz auf Anfrage Focus online im Juli 2023
Wissenswertes aus Bad Neubau – Film zum Thema Flächenverbrauch – YouTube
ArchitekturSpiele
Spielerisch Zugang zu komplexen Architekturthemen finden Lehrer und Schüler in der Fibel zum konstruktiven Entwerfen von Dirk Althaus (2005) Für alle, die schon immer wissen wollten, warum ein tief wurzelnder Baum eine eingespannte Stütze ist.
HausGeschichten
Ob Menschen ihre Wohnhäuser formen oder ob sich umgekehrt der Mensch durch den Geist des Ortes, die Umgebung und die Architektur prägen lässt, ist sicher sehr unterschiedlich.
Eine Heftreihe, die Einblicke gibt in die enge Beziehung von spannenden Personen der Zeitgeschichte, Künstlern, Schriftstellern und Philosophen zu ihren Häusern, ist die Edition Fischer – Menschen und Orte des kleinen Verlags Fischer & Fischer aus Berlin. Ohne dass man eine umfangreiche Biographie lesen muss, erfährt man auf 30 Seiten viel über die Lebens- und Schicksalsorte und ihre Bewohner.
Das haus hat allen zu gefallen. Zum unterschiede vom kunstwerk, das niemandem zu gefallen hat. Das kunstwerk ist eine privatangelegenheit des künstlers. Das haus ist es nicht. Das kunstwerk wird in die Welt gesetzt, ohne daß ein bedürfnis dafür vorhanden wäre. Das haus deckt ein bedürfnis. Das kunstwerk ist niemandem verantwortlich, das haus einem jeden. Das kunstwerk will die menschen aus ihrer bequemlichkeit reißen. Das haus hat der bequemlichkeit zu dienen. Das kunstwerk ist revolutionär, das haus konservativ. Das kunstwerk weist der menschheit neue wege und denkt an die zukunft. Das haus denkt an die gegenwart. Der mensch liebt alles, was seiner bequemlichkeit dient . Er haßt alles, was ihn aus seiner gewonnenen und gesicherten position reißen will und belästigt. Und so liebt er das haus und haßt die kunst.
Adolf Loos – Architektur (1910)
Raum
Es ist inzwischen nicht mehr einfach für Architekten ein Selbstverständnis in ihrem Beruf zu finden. Sie stehen in Konkurrenz mit Ingenieuren, Facility Managern, Bautechnikern und Projektsteuerern. Die Liste der Baufachleute ließe sich endlos fortsetzen.
Hinzu kommen die vielen selbst ernannten Profis, die auch schon mal einen Handwerker beim Entladen seines Fahrzeugs beobachtet haben. Da also jeder bauen kann, der einen Baufachmarkt von innen kennt, stellt sich die Frage, was einen Architekten ausmacht. Dazu gibt es eine ganz einfache Antwort. Er schafft Räume. Architektur besteht nicht aus ökologischen Materialien, intelligenter Gebäudetechnik oder brandneuen, innovativen Baustoffen, DIN Normen oder Smart Building Systemen. Das beherrschen all die anderen besser. Sie glauben, dass durch eine Ansammlung dieser Komponenten interessante Architektur entsteht. Lassen wir sie in diesem Glauben. Durch seine Fähigkeit Räume zu entwickeln, durch die sich Menschen bewegen, unterscheidet sich der Architekt künstlerisch von Malern, Grafikern oder Bildhauern. Architektur ist also Raum. Nein! Architektur ist Raum und Licht. Das ist aber auch die einzig zulässige Ergänzung. Ich höre sie gerade aufschreien, all die Künstler, die begehbare Raumskulpturen schaffen oder geschaffen haben. Weil ich in Hannover wohne, schreit Kurt Schwitters am lautesten. Um die Künstler noch etwas zu provozieren, hier die Kategorien, die Hermann Sörgel in seiner Architektur-Ästhetik 1918 zur Abgrenzung der Architektur einführte. Nach Sörgel war die Malerei Flächenkunst, die Plastik Körperkunst und die Architektur Raumkunst. Aber dann ist da doch noch einer, der das widerlegt: Johannes Vermeer, der Räume mit Licht malte wie ein genialer Architekt. Die spektakuläre Ausstellung Johannes Vermeer. Vom Innehalten läuft vom 10.09.2021 bis 2.01.2022 in der Gemäldegalerie Alte Meister in Dresden mit 10 Vermeer Gemälden. Update im März 2023: Trotz Verlängerung der Öffnungszeiten ist die Vermeer Ausstellung im Rijksmuseum Amsterdam vom 10.02.2023 bis 4.06.2023 mit 28 von 35 existierenden Gemälden bereits ausverkauft. Die online Ausstellung unten im link.
In die wirklich sehr tolle Raumskulptur im Sprengel Museum musste ich hinein. Die Aufsicht hatte ich unterschätzt: Bitte nicht hineingehen !!! Anscheinend hatte sie statische Bedenken. Aber ich bin Architekt… Ist mir egal !!! Ist das jetzt Kunst oder architektonischer Raum? Aber lassen wir das… Die Ausstellung der Künstlerin Phyllidia Barlow mit dem Titel Breach vom 15.10.2022 bis 19.03.2023 im Sprengel Museum Hannover. Mit der zentralen Raumfrage beschäftigt sich der umfangreiche Band Architektur – Raum – Theorie (Hg. A. Denk, U.Schröder, R. Schützeichel, Wasmuth Verlag, 1. Auflage 2016). Als Aufsatzsammlung enthält er kommentierte Raumtheorien über eine Zeitraum von etwa 150 Jahren beginnend mit Gottfried Semper. Darunter sind nicht nur bekannte Architekten, sondern auch Soziologen, Historiker, Psychologen und Philosophen. Die Raumfrage ist ein komplexes, fachübergreifendes Thema. Geprägt von den jeweiligen Strömungen ihrer Epoche kommen die Autoren zu ganz unterschiedlichen, teilweise auch kontroversen Antworten. Spannend ist aber, dass sich einige rote Linien erkennen lassen. Die Lektüre ist keine einfache Kost und ich habe mir die Inhalte hart erkämpft, insbesondere die philosophischen und soziologischen Ansätze. Meine Gedanken und Bilder zu den einzelnen Autoren und Theorien habe ich unter Raum in einen eigenen Beitrag gesetzt, den ich fortlaufend bearbeite, korrigiere und ergänze.
Erkenntnis ?
Architekten arrangieren sich mit herrschenden politischen Systemen, um erfolgreich zu bauen. Das hat natürlich in der moralisch ethischen Nachbetrachtung von rücksichtlosen Planern wie Albert Speer eine besondere Dimension. In unserem heutigen Geschichtsverständnis ist die distanzierte Beurteilung oder sogar Vorverurteilung einer ganzen Architektengeneration in ihrer gesamten Breite aber nicht ganz so einfach. Sie alle bauten erfolgreich in den innovativen 20er Jahren und mussten sich dann 10 Jahre später entscheiden. Mitlaufen, emigrieren oder sogar kooperieren. Teilweise waren sie sowohl Täter als auch Opfer wie der neueste Stand der Forschung zeigt. Eine unbedingt notwendige Reflektion der belasteten Vergangenheit macht nur Sinn, wenn wir Erkenntnis und Reflektion mit in die Gegenwart nehmen. Hätten wir uns wirklich anders verhalten und wären in den Widerstand gegangen? Was haben wir gelernt oder auch nicht. Also einfach mal hingeschaut auf diese Gegenwart. In der Bauwelt, die wie die ARCH+ zu den wenigen Architekturzeitschriften mit systemkritischen und politischen Themen gehört, habe ich dazu gerade im Heft Januar 2023 den Beitrag von Josepha Landes – No Excuses! gelesen. In der kurzen Kolumne geht es um die Unternehmenskultur der großen globalen Player wie OMA, Zaha Hadid (Nachfolge), MVRD, Herzog & de Meuron und nicht zuletzt Rem Koolhaas. Die politische Ausrichtung der Regime , in denen und für die sie als große Planungsgesellschaften auftreten, spielen bei der Auftragsannahme keine Rolle. Sie bauen ihre spektakulären Projekte aus unserer demokratischen Perspektive häufig in einem gesellschaftlich, politisch und sozial höchst problematischen Umfeld. Dazu gehören zum Beispiel Länder wie China, Albanien und die Vereinigten Arabischen Emirate. Also wo bleibt die Erkenntnis. Im Deutschen Architektenblatt findet man sie sicher nicht. Propagiert und publiziert wird mit Nachdruck das Bauen deutscher Planer im Ausland. Politische Systemkritik liegt nicht im Interesse der Kammern. Ein gutes Mittel zum Erkenntnisgewinn sind Studien, die Lebensläufe von Planern beleuchten. Aktuell gerade veröffentlicht die Studie von Thomas Großbölting – Fritz Höger – Eine politisch-professionelle Biografie. Auch bei uns in Hannover zählte Fritz Höger bisher zu den herausragenden Planerpersönlichkeiten. Das Anzeigerhochhaus (1927-1928) eine Ikone im Stadtbild. Gerade wurde die Kuppel aufwendig saniert. Aber wer ist Fritz Höger heute, nach dieser Studie? Ein anderer oder nur Spiegel seiner Zeit – ein baukünstlerisch hochbegabter Opportunist mit kruder völkischer Prägung ? Und wer sind die anderen, die Josepha Landes aufzählt? Ich möchte niemandem aus diesem Kreis das persönliche Demokratiebewusstsein absprechen. Aber setzen sie politische Zeichen durch Ablehnung von Aufträgen? Architekten agieren als Menschen und historisch wissenschaftliche Analyse schützt nicht vor Wiederholung. Hannah Arends hochumstrittene oft zitierte Aussage zu Adolf Eichmann formuliert das Schreckliche im Normalen, das auch in Höger steckt.
Das beunruhigende an der Person Eichmanns war doch gerade, dass er war wie viele und dass diese vielen weder pervers noch sadistisch, sondern schrecklich und erschreckend normal waren und sind.
Hannah Arends- Eichmann in Jerusalem Ein Bericht von der Banalität des Bösen (1964)
Wie sich diese Banalität des Bösen in den Architekten- und Ingenieurvereinen des Deutschen Reiches ausbreitete, zeigt die Austellung Im Gleichschritt vom 7.12.2023 – 22.2.2024 im Architekturmuseum der TU Berlin am Beispiel des Regionalvereins in Berlin.
Zum Weiterlesen und zur eigenen Meinungsbildung der Ausstellungskatalog und die Studie über Fritz Höger im free download :
Fritz Hoeger_Gutachten_Thomas_Grossboelting.pdf
Architekturmuseum der Technischen Universität Berlin
Auch der Mythos Bauhaus relativiert sich im kritischen Rückblick. Denn wenig überraschend arrangierten sich viele der nicht emigrierten Bauhäusler zur Existenzsicherung mit dem NS Regime und arbeiteten als Planer, Künstler und Designer in regimetreuen Unternehmen. Zum Stand der Forschung ein Artikel aus der Bauwelt 15. 2023
RetroStadt
Der Denkmalpflege ist es wichtig, möglichst viel historische Originalsubstanz zu erhalten. Was aber ist ein Original? Sicher kann man mit dendrochronologischen Verfahren feststellen, ob ein Fachwerkbalken aus der Barockzeit stammt. Da beginnen aber schon die ersten Zweifel. Denn in den meisten Fachwerkbauten finden sich nach dynamischen Umbauprozessen nicht selten Hölzer aus 5-6 Jahrhunderten. Welche Zeit präsentiert uns dann das originale Fachwerk? Belauscht man Touristen in der Hamelner Altstadt, wie ich häufig auf meinem Arbeitsweg, scheinen es diese ziemlich genau zu wissen. Fachwerkhölzer müssen schön dunkelbraun sein, und die Gefache schön weiß mit dickem Kissenputz. Problem ist nur, dass sich Fachwerk im Laufe der Jahrhunderte stark verändert hat und regional bedingt in Deutschland sehr unterschiedlich war und ist. Das Lieblingsbild der belauschten Touristen entstand in Niedersachen eigentlich erst als Fachwerkheimatstil in der 2. Hälfte des 19. Jahrhunderts. Vorher waren die geschnitzten Schmuckverzierungen selten bunt akzentuiert, die Hölzer oft rot, grau, ocker oder sogar holzsichtig farblos und die Gefache ziegelsichtig unverputzt. Einen touristischen Aufschrei erzeugt regelmäßig Monochromie, also wenn Fachwerk und Putz gemäß Bauforschung ohne Kontrast in einer Farbtonfläche gestrichen wird. Die Empörung ist groß, es entspricht einfach nicht unseren modernen Erwartungen, auch wenn es historisch so war. Dieses widersprüchliche Phänomen der Erwartungshaltung aus selbst gemachten Bilder behandelt Retroland von Valentin Groebner (S. FISCHER Verlag 2. Edition 2018). Empfohlen hat mir das Buch eine Hamelner Kollegin, die sich als Stadthistorikerin auch mit diesen Widersprüchen im Geschichtstourismus beschäftigt.
StraßenKinder
Vergleichbar mit den wechselnden Theaterstücken im eigenen Kinderzimmer sind die Erlebnisse auf der eigenen Straße der Kindheit. In den Straßengeschichten Meine Straße des Zeitredakteurs Henning Sußebach heißt es im Vorwort über die dort gesammelten Erinnerungen verschiedener Redaktionskollegen: Man vergisst vieles aus seiner Kindheit – seine Straße jedoch, diese Kindheitskulisse, vergisst man nie.
Viele dieser Erinnerungen spielen in den 50er, 60er und 70er Jahren, die Autoren kehren zurück und tauchen nach Jahrzehnten tief ein in den Kosmos ihrer Kindheit. Besonders auffällig ist dabei die spürbare Dominanz des Autoverkehrs, der inzwischen den Kinderspielraum Straße eingenommen hat.
In meiner eigenen Straße verkaufte übrigens der Weiße Riese Brötchen. Er wurde von allen so genannt, weil er, fast zwei Meter groß, in seiner weißen Bäckerskleidung immer sehr bedrohlich aus der Backstube trat. Wir haben dort niemals Kaugummis geklaut. Für mich galt immer: Ich habe oft daran gedacht, es aber nie getan. Ein Satz, den Stadtplaner leider oft mit sich herumtragen.
Farbgedanken
Physikalisch ist es sehr einfach. Farbe ist materialabhängige Reflexion und Absorption von Licht in unterschiedlichen Wellenlängen. Aber hilft uns diese Erkenntnis, wenn wir im Indian Summer überwältigt vor der knallbunten Blätterwand stehen? Farbe entsteht im Kopf des Betrachters aus vielen zusammengesetzten Erinnerungen und Empfindungen. Wie der plötzliche Gedanke an einen Menschen im roten Pullover an einem trüben, verschneiten Wintertag im Park. Wer denkt schon in diesem Augenblick daran, dass der Pullover selbst nicht rot ist, sondern ausschließlich rotes Licht mit einer Wellenlänge von 780 Nanometern reflektiert. Physiker vielleicht…
Der kleine Band Akzente enthält literarische Textfragmente, Assoziationen und fröhliche Grafiken zu diesen Farberlebnissen.
Akzente: Zeitschrift für Literatur im Carl Hanser Verlag – hanser-literaturverlage.de
„In visueller Wahrnehmung wird eine Farbe beinahe niemals als das gesehen, was sie wirklich ist, das heißt als das, was sie physikalisch ist. Dadurch wird die Farbe zum relativsten Mittel der Kunst.“ Wir sehen also keine Farbe als sie selbst, sondern jede zeigt sich immer im Austausch mit anderen. (Josef Albers)
(bottrop.de) Museum Josef Albers
Wenn ich Rot sage, so können wir sicher sein, dass wir, wenn hier hundert Leute sind, an hundert verschiedene Rottöne denken. Auch wenn ich ein bestimmtes Rot zu beschreiben versuche, beispielsweise ein Rot, das wir alle überall und jeden Tag oftmals sehen, beispielsweise das Rot des Coca-Cola-Zeichens, dann glaube ich immer noch, dass wir verschiedene Rottöne sehen. Nur die Vorführung dieses bestimmten Rots kann unser Sehen vereinheitlichen. Unsere emotionalen Reaktionen aber werden unterschiedlich bleiben.“
(Josef Albers, The Meaning of Art, Vorlesung am Black Mountain Collage, North Carolina, am 6. Mai 1940 zitiert nach: Josef Albers, Formulation, Articulation, Leipzig 2006, S.15)
Zu Farben und deren Wirkung gibt es vorgefasste Meinungen. Blau zum Beispiel gilt für viele als kühl. Als Mittel gegen diese nicht hinterfragten, weit verbreiteten Sichtweisen empfahl Goethe, sich einmal einem ganz in Blau gehaltenen Raum auszusetzen. Erst danach könne man ein Urteil fällen zu der gespürten Atmosphäre.
Autostadt
Die Auswahl lesenswert bedingt manchmal im Ausschlussverfahren auch das Gegenteil. Eine populäre Autozeitschrift, die sich neuerdings auch sehr für den Klimaschutz einsetzt, hat in der krisenhaften Zeit seit 2020 die individuelle Freiheit des Autofahrers wiederentdeckt. Hier in der Sommerausgabe 2021. Da der Individualverkehr mit jeweils einer Person am Steuer auf dem Weg zur Arbeit politisch nicht mehr ganz so beliebt ist, gibt es jetzt die Abenteuerlust im Urlaub. Im Autoland Deutschland werden die Freiheiten der Autofahrer gerne auf Kosten der anderen durchgesetzt. Gerade stellt man überrascht fest, dass parallel zum milliardenschweren Autobahnausbau die Infrastruktur der Bahn vernachlässigt wurde und alle möglichen Entfaltungsräume in den Städten zugeparkt sind. Es lebe die Erlebniswelt Autostadt. Der Name dieses Wolfsburger Freizeitparks ist also Konzept. Wie die Abenteuer der Camper dann in den Stadtteilen herumstehen, sieht man hier in der Nordstadt (Hannover) an einem ganz normalen Wochentag. Da darf ich doch auch mal den Covertitel zitieren. Raus mit euch ! Übrigens drohen laut ADAC Niedersachsen regelmäßig Mitglieder mit Austritt, wenn der Verband sich positiv zur Mobilitätswende, Reduzierung von ruhendem Verkehr in Städten und Nachhaltigkeit äußert. Alle ehemaligen Mitglieder leisten sich dann wahrscheinlich gegenseitig Pannenhilfe. Und noch ein interessantes Detail zum Verkehrsumbau. Aktuell im Jahr 2022 möchte der Bundesverkehrsminister den Autobahnbau zu einem Vorhaben der öffentliche Sicherheit erklären (beispielsweise für Truppentransporte !) und nicht nur wie bisher als überragendes, öffentliches Interesse. Dadurch ließen sich die Verfahren beschleunigen. Macht Sinn.
Update und Pressemitteilung im Mai 2023: Der Bundesverkehrsminister möchte jedem Autokäufer das gerade eingeführte Deutschlandticket Regionalverkehr zum Neuerwerb seines Wagens schenken. Wie nennt man das bei Kindern? Verhaltensauffällig? Inzwischen hat die katholische Kirche übrigens mit Stand 2023 weniger Mitglieder (20,9 Millionen) als der ADAC (21,42 Millionen). Das Thema Auto in Deutschland ist Religion und heilige Kuh.
Von Jan Böhmermann, der ja häufig verklagt wird, weil er politische Wahrheiten ausspricht, stammt das Lied:
Warum hört der Fahrradweg einfach hier auf?
Wenn ich unser Deutschland seh
Alles voller PKW
Unsre Herzen asphaltiert
Automobil radikalisiert
Beängstigend bleibt die Masse der Fahrzeuge und die Geschwindigkeit, mit der sie sich fortbewegen. Beide Faktoren scheinen nach der heutigen Entwicklung kaum zu korrigieren zu sein. Im Gegenteil, niemand kann heute voraussagen, welche katastrophale Ausmasse sie annehmen wird und welche Lösungen zu ihrer Bewältigung bereit stehen müssen. Geradezu grotesk mutet die düstere Ahnung an, dass eines guten Tages die gigantischen Straßenbauwerke bei notwendig werdender Umstellung auf andersartige Fahrzeugsysteme nutzlos in der Landschaft herumstehen. Ja, man neigt zur Behauptung, dass nach Investitionen in das Auto und seine Belange eine Umstellung grundlegender Natur auf lange Sicht nicht mehr zu bewerkstelligen ist. Soviel um zu verdeutlichen, dass zwischen den Investitionen in die Bedürfnisse Maschine = Auto und die Bedürfnisse des Lebewesens = Mensch eine enorme Kluft besteht, und dass wir den Preis zur Wiederherstellung des Stadtraums bezahlen müssen, wenn diese Gesellschaft das Leben in der Stadt noch weiter für sinnvoll halten soll.
Rob Krier – Stadtraum in Theorie und Praxis (1975)
Eine kleine persönliche Geschichte aus der Zeit, die Rob Krier beschreibt und in der man noch nicht wunderschöne Garagen und Carports vor die noch schöneren Einfamilienhäuser stellte. Gerne fuhr man in den Jahrzehnten davor, schon ab dem frühen 20. Jahrhundert über eine Rampe unter das eigene Haus. So machte es auch mein Vater seit den 50er Jahren. Als die Autos in den 70er Jahren aber immer länger wurden, passte das neue Modell nicht mehr in die Kellergarage. Die Stufenhecklimousine mit dem Stern war einfach 20 cm zu lang. Mein Vater grübelte eine Woche und hatte dann die Lösung. Die tragende ! Kellerwand wurde aufwendig geöffnet und ein Stahlträger eingezogen. Das neue Auto stand nun mit dem Kühler im Kellerflur. Als Kind bin ich ein einziges Mal mit meinem Vater auf einer längeren Tour Fahrrad gefahren – 1973 zu den Fahrverboten der Ölkrise an einem autofreien Sonntag. 50 Jahre später haben wir wieder eine Energiekrise und es hat sich weder zu den Fahrzeuggrößen, der Zulassungsstatistik noch in der Einstellung vieler Autofahrer zur individuellen Mobilität grundlegendes bewegt. Stattdessen sollen Millionen von Benzinern durch Millionen von Elektrofahrzeugen ersetzt werden. Unsere Nachbarn in Hannover ! mit allen Möglichkeiten des öffentlichen Nahverkehrs und mitten im zentralen, nördlichen Drehkreuz der Deutschen Bahn haben als vierköpfige Familie 3 Autos. Es wird klar, wer hier das Problem hat. Nicht mein Vater im Mainstream seiner Zeit, sondern jemand 50 Jahre später, der denkt wie in den Siebzigern.
WeiterBauen
Morgens um 8:00 Uhr in Hameln. Der Denkmalpfleger etwas unmotiviert und müde auf dem Weg zur Bauabnahme. Oft endlose Diskussionen zu nicht erfüllten baulichen Anforderungen. Heute ist alles anders. Ich stehe vor dem Historismus Gebäude aus dem 19. Jahrhundert und öffne die Tür. Blaues Licht flutet mir entgegen. Ein Tiger blickt mich von der gegenüberliegenden Wand an. Die Wandbilder wie aus einem LSD Trip. Ein neues Restaurant mit innovativer asiatischer Küche – kurz vor der Eröffnung. Die Bilder von Niko Nikolaidis, einem griechischen Künstler. Expressive, archaische Finger- und Handtechnik, kein klassisches Graffiti. Dazu Kirschblüten aus Papier unter der Decke und echtes Moos an der Wand. Nach kurzem Rundgang keine kritischen Fragen mehr und ich genieße die Atmosphäre. Warum diese umständliche Einleitung für eine Buchbesprechung. Weil dieses Erlebnis sehr genau zeigt, wo empfindliche Stellen und Konflikte der Denkmalpflege liegen. In der zeitgemäßen Nachnutzung der Gebäude. Ein derartig radikales Raumgefühl habe ich vor dem Betreten des Gebäudes nicht erwartet. Warum eigentlich nicht, muss ich mich fragen. Zentrales Thema des Buches von Thomas Will , Kunst des Bewahrens aus dem Reimer Verlag sind die sehr unterschiedlichen Ansätze zur baulichen Reaktion in denkmalgeschützter Nähe. Natürlich war es hier im Restaurant sehr einfach, innovativ zu agieren. Die Ladenflächen dieser Gründerzeithäuser wurden bereits vor 100 Jahren statisch entkernt und es entstanden neutral bespielbare Flächen. Oft aber ist es schwieriger, wenn alte Strukturen noch vorhanden sind. Ich wünsche mir Kreativität. Viele Landesämter der Denkmalpflege sind dominiert von Kunsthistorikern, die authentische Sanierungen einfordern. Das liegt jenseits aller Planungsrealität der verantwortlichen Architekten. Denn ein barockes Gebäude ist kein Ölgemälde von Carravagio und kann museal 1:1 konserviert werden. Häuser werden benutzt und verändern sich dynamisch. Die entscheidende Frage des Buches ist also, wie macht man weiter. Kontinuität, Ergänzung, Kontrast oder sogar (Ab)Bruch. Egal welche Antwort man gibt, man muss das alte verstehen um zu entscheiden. Also begibt sich der Architekt doch bis zu einem gewissen Grad auf die Ebene der Kunsthistoriker ohne die notwendige Distanz zum baulich machbaren zu verlieren. Denn was Bauhistoriker in ihrer Analyse des vorhandenen oft nicht schaffen, ist die architektonische Neuinterpretation. Ein Weg , für den sich beispielsweise der geniale Karl-Josef Schattner konsequent entschied, und der dafür den in Eichstätt baulich verantwortlichen Bischoff mit auf die Reise nahm, um ihm die architektonische Welt zu erklären.
Weiternutzen – Asien in cultural heritage
Weiterbauen – FachwerkZwischenraum
Auch dieses Beispiel aus Dannenberg ist ein Beitrag zu der kontroversen Diskussion, wie man in Fachwerkumgebung weiterbaut. Charakteristisch für Fachwerkgruppen in historisch dichten Altstädten mit rückwärtigen, verschachtelten Höfen oder als dörfliche Hofanlage mit Haupt- und Nebengebäuden sind kleinteilige Außenräume, die wie Innenräume wirken. Durch Abbruch lösen sich diese Räume auf. Geschickte Ergänzungen durch Neubauten wie zum Firmensitz Nya Nordiskain im Ortskern von Dannenberg können Raumgefüge wiederherstellen. Nimmt man also den Buchtitel Kunst des Bewahrens ernst, dann können durch Weiterbauen Räume geschaffen werden, die für kleine Fachwerkstädte schon immer typisch waren. Zum Fachwerkbestand zeigen sich die Bauten des Unternehmens für innovatives Textildesign im Maßstab des Fachwerks. Auf der Rückseite erstrecken sich die größeren Hallenvolumen. Der Kontrast aus Fachwerktradition und Neubau wurde 2012 ausgezeichnet zum BDA Preis Niedersachsen und zum Niedersächsischen Staatspreis für Architektur. Und genau an diesem Punkt der Diskussion melden sich regelmäßig die Fachwerktraditionalisten, die Fachwerkensemble mit neuen Fachwerkrekonstruktionen weiterbauen wollen, auch wenn die Originale längst verschwunden sind. Meine Antwort: Stadt ist nicht Fassade, sondern Zwischenraum. Und Denkmalpflege ist nicht Abziehbild und Kulisse.
Klosterraum
Das frühgotische, ehemalige Katharinenkloster Rostock war in seiner wechselvollen 700jährigen Geschichte schon Waisenhaus, psychatrische Klinik und Seniorenheim. Ab 1997 bis 2001 wurde es zur Hochschule für Musik und Theater Rostock umgebaut. Auch hier wurden die früheren Raumstrukturen des Klosters durch Einschieben der Neubauten mit Konzertsaal und Unterrichtsgebäuden wieder geschlossen. Klosterhof und Kreuzgänge werden so wieder zu innenliegenden Räumen der gemeinschaftlichen Kommunikation und Veranstaltung. Wieder ist das rekonstruierte Raumerlebnis entscheidend und nicht die modern ergänzte Fassade. Die Hochschule wurde 2002 mit dem Landesbaupreis Mecklenburg-Vorpommern ausgezeichnet.